: Two cheep hot girls singen Blues
Mit „Star-Lust“ zeigen die Drag Queens viel mehr als Starparodien, ausgestopfte Busen und Stammtischzoten – Joey Arias & Sherry Vine mit ihrem neuen Programm in der Bar jeder Vernunft ■ Von Axel Schock
„This Show is not sponsored by Disney.“ Sherry Vine stellt das gleich zu Beginn der Show klar und fährt sich mit der Hand lasziv durchs blonde Zweithaar, während sie die andere streng in die Korsage gestützt hat, und spitzt dabei kokett die Lippen.
Sherry Vine muß man sich als ein Zwischenwesen mit Gen-Anteilen von Bette Midler, Dolly Parton und einer Schlampe aus der Gosse vorstellen. Mehr Vamp denn Lady und vor allem mit ziemlich bösartigem Mundwerk ausgestattet. Ihre Show mit dem zweideutigen Titel „Star-Lust“ ist nicht immer jugendfrei und käme niemals durch die auf Familienfreundlichkeit getrimmte Zensur des Disney-Konzerns. Sherry verbreitet aber nicht nur Anzüglichkeiten, sie kann zudem auch noch ziemlich gut singen – was man von hiesigen Drag Queens nicht immer behaupten kann.
Im vergangenen Jahr waren die beiden New Yorker Stars mit einer Mitternachtsshow zum ersten Male in Berlin in der Bar jeder Vernunft zu Gast. Es scheint ihnen hier gefallen zu haben. Jetzt haben sie nicht nur eine vierköpfige Band rund um den Pianisten Eliot Douglass mitgebracht, sondern feiern hier auch die Premiere ihres neuen Programms (Regie Joshua Rosenzweig).
„Star-Lust“ hat sogar so etwas wie eine rudimentäre Geschichte, die als roter Faden fungiert. Ein Jackpot in Las Vegas macht es den beiden Freundinnen möglich, auf eine Karriere als Callgirls verzichten und statt dessen Showgirls werden zu können. Doch mit Ruhm und Geld kommt das Ende der Freundschaft und statt dessen der Suff und also auch der Niedergang. Dazwischen jede Menge Gelegenheit, ihr Ego auszuspielen und Songs aus ihrem ureigenen Repertoire zu präsentieren. Wer bei Drag Queens an die ewiggleichen Starparodien denkt, an schlüpfrige Stammtischzoten und ausgestopfte Busen; wer also glaubt, daß Georg „Mary“ Preusse das Höchste der Gefühle in diesem Metier sein muß, weil sich schließlich eine Viertelmillion Besucher bei dessen Berliner Show nicht täuschen können, irrt eben doch gewaltig.
Arias (die mit ihrer tiefschwarzen Langhaar-Prinz-Eisenherz-Frisur und den großgeschminkten Augen auch als Mitglied der Addams Familiy durchgehen würde) und seine Partnerin Vine schöpfen aus dem Repertoire amerikanischer Showstandards, aus dem Musical- und vor allem aus dem Jazzrepertoire.
Wenn man bei Joey Arias die Augen schließt, glaubt man, Billie Holiday zu hören, und wenn sich beide in Rage reden, auf das Publikum reagieren und bissig und ganz und gar nicht p.c. kontern, hat dies immer noch jenes Flair von Underground und Subkultur, wie es das spießbürgerliche Tuntentheater von Mary niemals hatte. Die extravaganten Kostüme geraten schnell in den Hintergrund, die musikalische Perfektion wird dafür um so wichtiger. „Two cheap hot girls“ singen den Blues, und man versteht, warum zu ihren Fans Pedro Almodóvar genauso gehört wie Madonna und Thierry Mugler.
„Star Lust“ : Bis 25. April, Di. bis So. 20.30 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24
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