■ Querspalte: Nostradamus und die Nato
Es gibt tatsächlich Menschen, die haben richtig Angst vorm Krieg. Das sind dann meist eifrige Stammseher von 3sat. Die verstehen Fernsehgucken als hochwirksame Therapie und dosieren ihre Zeit vor der Kiste also streng. Mal 'ne halbe Stunde Diskussion oder ein Stündchen Kulturzeit.
Wie aber konnte es passieren, daß man außerhalb der geregelten Kanalzeit auf diesen Mann stieß, der sich als österreichischer Wissenschaftler präsentierte? Ein Buch habe er geschrieben, sagte der sendungsbewußte Rentner. Ein Buch über die Propheten. Viele hätten einen argen Silberblick in ihren seherischen Fähigkeiten, schlimme Grammatikfehler in den Voraussagen gehabt. Einer aber, der große Nostradamus, lag immer richtig. Mister Hundertprozent der Prophetie also.
Den Zusammenbruch der Sowjetunion habe der Orakelmeister auf den Tag genau angekündigt. Und so weiter. Ein Schauer des Grauens lief den Zusehern jedoch über den Rücken, als der Herr aus Wien verriet, daß im Sommer oder Herbst der dritte Weltkrieg ansteht. Quelle: Nostradamus. Nun hat man sich lebenslänglich gegen den Einfluß finstrer Mächte gewehrt, das Horoskop überblättert und Elogen über die Reinheit des Geistes verfaßt, aber ein mulmiges Gefühl beschlich einen, als just ein paar Tage später ein Krieg entbrannte. Rußland würde nicht dulden, daß sich die Nato in Ex-Ostblockländern zu schaffen macht, hatte der Ösi gemeint. Nun soll hier keine Panik gemacht werden. Alle Analytiker des Geschehens berufen sich auf die Allmacht des Währungsfonds und die Maladität Moskaus. Aber wer weiß, was der slawische Dreimächtepakt so ausbaldowert.
Wie ist es also um die Nato bestellt, Moralpolizei oder doch nur Erfüllungsgehilfe eines Sehers? Wir, die verängstigten 3sat-Gucker jedenfalls insistieren: Nostradamus, deine Serie in Ehren, aber sei fehlbar! Markus Völker
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