Zuckerbrot und Peitsche

■ Im Schanzenviertel kommen die Opfer der repressiven Drogenpolitik zusammen / Was das für's Quartier bedeutet, beschreibt Silke Mertins

„Hasse ma 'n bißchen Kleingeld?“ gehört im Schanzenviertel immer noch zum guten Ton. Hat man keins und auch keine Tageskarte abzugeben, entschuldigt man sich höflich. Punks, Freaks, Verrückte, Stütze-Bezieher, Immigranten aus aller Welt, Studies und etablierte Altlinke, die den Schmuddel-Charme des Quartiers mögen, sind hier zu Hause. Man erträgt einander.

Jetzt aber ist fast unbemerkt eine neue Gruppe zum Sozio-Cocktail Schanze hinzugekommen: Junkies. Nicht nur weil seit einer Woche der „Gesundheitsraum“ Fixstern am Schulterblatt seine Pforten geöffnet hat und dort offiziell Spritzen getauscht werden und inoffiziell gefixt werden kann. Sondern vor allem, weil die in St. Georg betriebene massive polizeiliche Vertreibungspolitik die Abhängigen und Kleindealer in andere Viertel abwandern läßt.

Bisher hatte sich nur die „feine“ Szene – Koks, Hasch und dergleichen – im Sternschanzenpark häuslich eingerichtet. Aber seit einigen Wochen haben auch die Zahl der Junkies und harte Drogen zugenommen. Daß die Polizei inzwischen für das Gebiet in und um den Schanzenpark Platzverweise ausgesprochen hat, spricht zudem für sich.

Wie das Szene-Viertel darauf reagieren wird, wenn die Polizei nicht nur gelegentlich Autonome am Schulterblatt hin und her treibt, sondern in weitaus höherer Frequenz auch Junkies, ist ungewiß. Die einen bezweifeln, daß die Punks so ohne weiteres bereit sind, ihren Platz mit dem Drogenmilieu zu teilen. Die anderen fürchten, daß sich in der Bevölkerung ähnlicher Widerstand regen wird wie in St. Georg. Denn: Aufenthaltsmöglichkeiten für Abhängige gibt's auch im Schanzenviertel nicht genug. Der Fixstern allein wird, wenn es zu einem Flüchtlingsstrom aus St. Georg kommt, mit dem Andrang überfordert sein. Und daß sich die Drogenszene im Sternschanzenpark – wo es auch Spielplätze gibt – oder in den verwinkelten Gassen zwischen Schulterblatt und Bartelsstraße niederläßt, kann im Ernst auch niemand wollen.

Ohne die nötige Infrastruktur und ein klares Drogenkonzept kann die jetzige Vertreibungspolitik nur zum erneuten Desaster werden. Schuld daran ist das drogenpolitische Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip. Denn der Grundkonflikt – die schwierige Balance zwischen Hilfe für die Süchtigen und Strafe für die Stoffbeschaffer – wird so lange bestehen bleiben, wie diese Drogen illegal sind.