: Eine alternative Lobpreisung des Anderen
Die taz ist gegründet worden, weil es sie vorher nicht gab. In ihr hat in zwanzig Jahren Stimme und Platz gefunden, was alle anderen Medien nicht wollten. Inzwischen wird das alternative Blatt kopiert auf Teufel komm raus, selbst von Zeitungen wie der „Welt“. Rückschau und Ausblick auf eine Zeitung, die immer mehr als ein Zentralorgan des alternativen Zeitgeistes war ■ Von Jan Feddersen
Nachrufe auf die taz hat es immer gegeben. Insofern war der Elan, mit dem der sogenannten alternativen Tageszeitung nach der jüngsten Bundestagswahl der baldige Tod vorhergesagt wurde, voreilig. Was soll sich für eine Zeitung mit politischen Ambitionen ändern, nur weil zwei Parteien die Regierungsgeschäfte übernommen haben, denen die Redaktion, was die moralischen und politischen Werthaltungen anbetrifft, näher steht als Union und Wirtschaftsliberalen? Niemand würde ernsthaft der FAZ ein publizistisches Siechtum prophezeien, sobald der SPD-Kanzler durch einen aus der Christdemokratie abgelöst sein wird.
Eine solche Sicht hieße, die taz habe zwanzig Jahre auf nichts anderes als auf einen grünbeteiligten Regierungswechsel hingearbeitet. Das mag auch so gewesen sein – der wesentliche Inhalt dessen, was die Idee der taz war, trifft diese Perspektive jedoch nicht. 1979, als entschiedene Reste der Spontibewegung sich daran machten, dem bundesdeutschen Medienwald eine eigene Züchtung hinzuzufügen, war die taz eine Provokation, die durch ihre Existenz selbst für Aufregung in den meisten anderen Redaktionen sorgte.
Die taz war nicht nur das Forum, um der uniformen Berichterstattung wie der während des Deutschen Herbstes 1977 etwas entgegenzusetzen. Nicht nur eine Zeitung, in der junge Politiker aus der grünen Avantgarde ihre Öffentlichkeit organisieren konnten. Mitnichten nur ein Hausblatt der Grünen. Die taz war vor allem ein Blatt, dessen Mitarbeiter (und LeserInnen) darauf bauten, daß ihre Welt darin gespiegelt wurde. Und das war eine antibürgerliche, antispießige...
Was diese Worte genau bedeuteten, war unter allen Beteiligten unsicher. Verläßlich war nur, daß seit Achtundsechzig (selig) in der Bundesrepublik eine Gegenkultur entstand, die in Blättern wie der Frankfurter Rundschau, der Konkret , der Süddeutschen Zeitung, in den Medien der längst auf dem absteigenden Ast befindlichen kommunistischen Gruppen oder in der UZ der DKP keine Würdigung erfuhr. Nichts las man in diesen Zeitungen, was in den WGs, an den Universitäten oder auf alternativen Bauernhöfen in der Diskussion war. Nichts also über alternative Energiequellen, über die Nato-Nachrüstung, über die Friedensbewegung, über alternative Lebensformen, Feministinnen, über Lesben und Schwule, über Graswurzelrevolutionen und so weiter und so fort.
Die Medienszene zeigte sich zunächst irritiert und später wohlwollend. Manche Blätter haben sich sogar an das Rezept der taz gehalten und gelegentlichen Mut zu unkonventionellen Überschriften bewiesen, auch wenn wahrscheinlich keine Zeitung außer der taz es sich nach dem Selbstmord Uwe Barschels getraut hätte, „Barschel kieloben“ zu titeln. Oder, wie jüngst nach Oskar Lafontaines selbstgewählter Demission, einfach nur, sozusagen lebenspraktisch: „Toskana, ich komme“.
Oder einfach mal probiert, jüngere KollegInnen in die Redaktionen zu holen, um lebensnähere Schreib- und Sprechweisen auszuprobieren – und auf Verlautbarungen aus diesem oder jenem Milieu verzichten zu können. Die Zeit, die SZ oder auch der (meist ja noch verschnarchte) Tagesspiegel aus Berlin: Sie alle haben wohl auch die taz als Ansporn gebraucht, etwas respektloser mit der politischen Klasse umzugehen. Oder mit bürgerlicher Kultur: Als die Frankfurter Rundschau auf das Gute, Schöne, Wahre hielt und in diesem Sinne Klaus Lage als leibhaftigen Echtrocker feierte, hatte die taz längst Kritik an Echtheitsmythen und am Authentizitätswahn geübt.
Etwas anders formuliert: Die taz war die erste Zeitung in der Bundesrepublik, die andere Blicke auf Themen probiert hat. Geschichten aus dem Alltag, über Fans, über Popkonzerte, über Groupies, über Ausstellungsbesucher und die Erträge der Postmodernismusdebatte in New York. Sie brachte Essays und Reportagen (nicht nur von Gabriele Goettle), in denen unkonventionell probiert wurde, die üblichen Pfade der gesellschaftlichen Wahrnehmung zu verlassen. Kurzum: Die taz hat vorsätzlich die Benimmregeln des kulturellen und politischen Comment verletzt – in ihren Geschichten waren Opfer nicht nur Opfer, und Täter bekamen entsetzlich menschliche Profile.
In ihr erhielten Frauen das Wort, die Opfer von sexuellem Mißbrauch wurden; über Kinder wurde berichtet, die im Wohlfahrtsstaat Deutschland verwahrlosen; über Asylbewerber, deren Schicksale irgendwo zwischen Paragraphen verschwinden; über Aidskranke, denen das Mitgefühl für ihre Infektion zu weit geht.
Lange bevor dieser Begriff überhaupt in der deutschen Debatte war, hatte sich die taz zu einer Zeitung der Bürgerrechtsbewegungen entwickelt. Ein Medium, das häufig mißverständlich – aber durchaus im Sinne der Tradition – und objektiv falsch als „links“ oder „autonom“ wahrgenommen wurde. Petra Kelly beteuerte ständig, die Grünen seien weder links noch rechts, sondern in der Mitte. Was mit diesem Satz auch gemeint gewesen sein könnte, auf ein Heute bezogen: Mit der rot-grünen Regierung sind nur wenige Probleme vom Tisch, die zunächst und vor allem von der taz beschrieben worden sind.
Zwanzig Jahre im Jahr des fünfzigsten Geburtstags der Bundesrepublik: Heißt das etwa nicht, weiter zu schreiben über Zustände, in denen Ausländer von Deutschen zu Tode gehetzt werden? Über eine rot-grüne Verkehrspolitik, die nichts ändert? Über Flüchtlinge aus Südosteuropa, die bei uns auf Asyl hoffen und nur selten auf Mitgefühl zählen dürfen? Über Kinder, die in Armut leben und die in diesem Bildungssystem kaum Chancen haben?
Natürlich reicht es nicht aus, Berichte über Elend und Not zu veröffentlichen – wie auch der pazifistische Gestus in Sachen Kosovo nicht taugt, Frieden in Jugoslawien zu stiften. Selbstredend braucht es Journalismus, der sich mit multikultureller Romantik nicht zufrieden gibt. Nötig sind Recherchen, die aufklären – und zugleich verstören, zur Not auch grüne Politiker, die es angeblich doch auch nur gut meinen. Also soll über alles berichtet werden, was die rot-grüne Regierung in der Hauptstadt Berlin anzettelt – und worauf sie politisch verzichtet, des Machterhalts wegen. Vielleicht auf ein Gleichstellungsgesetz für Homosexuelle – es wäre kein Wunder, würde das Justizministerium einen entsprechenden Gesetzentwurf zurückstellen, um sich eine weiteres Plebiszit der Union zu ersparen.
Aber ist es nicht wahr, daß die ewige Litanei von Not und Pein auf die Dauer lähmt, müde macht und abstumpft? Wer so fragt, dem muß man sagen: ja. Für diejenigen ist das, was an Schlechtem passiert, ein Teil von Unterhaltung und thrill. Dem kann, soviel Konsens ist in der taz, nicht Rechnung getragen werden. Streit gibt es auch so genug: Was verdient Berichterstattung, was nicht? Müssen alle Texte auf vordergründige Art politisch sein? Darf ein Bericht über Herrenhandtäschchen erscheinen, einer über eine Theoriedebatte in den USA, selbst wenn er nur von tausend LeserInnen goutiert wird, einer womöglich über frustrierte Männer im Pornokino – ohne sie gleich als Schweine an und für sich zu geißeln?
Vermutlich nur unter Inkaufnahme von LeserInnenbriefen und gerümpften Nasen bei manchen KollegInnen. Es gibt eben noch viele Tabus, mit denen der gewöhnliche Alternative gar gern konfrontiert wird. Aber über (diese taz-)Tabus, über Dünkel oder Berührungsängste mit dem (wählenden) Volk und der Sozialdemokratie, überhaupt mit allem, was als sogenannt normal gilt, werden wir in Zukunft thematisieren müssen. Bestimmt nicht erst im taz.mag zum dreißigsten taz-Geburtstag. Bis dahin zanken wir weiter. So oder so, with a little help from our friends.
Jan Feddersen, 41, fing 1984 in der Hamburger taz-Lokalredaktion an, arbeitete bei der Zeit und der Woche und ist seit 1997 Redakteur im taz.mag
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