piwik no script img

Die Schwiegereltern müssen im Lager bleiben

■ Auch wer nach tagelanger Suche seine Verwandten endlich gefunden hat und zusichert, für ihren Unterhalt zu sorgen, darf sie nicht einfach mit nach Deutschland nehmen

Das Handy für die Schwiegereltern im Kosovo hatte Christa K.* vor vier Monaten einem Busfahrer als Päckchen mitgegeben. Am Freitag vor zwei Wochen kam dann ein Anruf. „Mir war klar, daß der Familie etwas passiert sein mußte“, erzählt die zierliche Hausfrau aus Friedrichshafen am Bodensee. Seit drei Jahren ist sie mit dem Kosovo-Albaner Adem K. verheiratet – einem Grundschullehrer, der in seiner Heimat keine Stelle gefunden hatte und deshalb nach Bayern gekommen war.

Ihren Schwiegervater kannte Christa K. nur von Fotos. Plötzlich war er amTelefon. Einige Wochen zuvor war er mit der Familie nach Pritina zu einer Tante gezogen, berichtete er. Die Repressalien seien nicht mehr auszuhalten gewesen. „Mitten im Telefonat sagte er dann plötzlich, jetzt klopfen die Serben an die Tür. Dann konnte mein Mann noch Stimmen hören, die riefen, daß die Familie fünf Minuten Zeit hätte, um das Haus zu verlassen. Danach war die Telefonverbindung unterbrochen“, sagt Christa K. Zwei Tage lang hörten sie und ihr Mann nichts mehr aus dem Kosovo. Dann endlich kam ein Anruf aus Makedonien : „Wir sind in Skopje“, und: „Könnt Ihr uns helfen?“.

Adem K. nahm sich sofort Urlaub von seinem Baujob, und 48 Stunden später fuhr das Ehepaar los, um die Schwiegereltern abzuholen. Vier Tage dauerte die Fahrt über Österreich, Ungarn, Rumänien zur bulgarisch-makedonischen Grenze. Dort wurde Adem K. von den Grenzbeamten rüde abgewiesen. Der Grund: Wie die meisten im Ausland lebenden Kosovo-Albaner hat auch er einen Paß der Bundesrepublik Jugoslawien. Eine legale Einreise nach Makedonien ist deshalb zur Zeit unmöglich. Auch der Versuch, die Grenzbeamten mit D-Mark umzustimmen, blieb erfolglos. In Sofia ergatterten die beiden dann immerhin ein Flugticket für Adem K. in die albanische Hauptstadt Tirana. „Wir haben noch mit der deutschen Botschaft in Sofia Kontakt aufgenommen und sie um Hilfe gebeten. Aber dort hieß es nur, daß wir auf uns alleine gestellt sind“, erzählt die 45jährige. Also ist Christa K. noch einmal zur makedonischen Grenze gefahren, und „als Deutsche alleine haben sie mich dann problemlos reingelassen“.

Stundenlang suchte Christa K. den Flughafen von Skopje nach ihren Schwiegereltern ab. Hunderte von Flüchtlingsfamilien warteten dort auf die Ausreise – geordnet nach Ländern: in Deutschland, Türkei und die Schweiz. Sie solle sich am besten ans Rote Kreuz oder das UNHCR in Skopje wenden und dort die Listen der von den Hilfsorganisationen und makedonischen Behörden registrierten Flüchtlinge durchsehen, lautet schließlich der gutgemeinte Rat eines französischen OSZE-Beobachters, der hier den Abflug mitüberwacht.

Doch Christa K.s Schwiegereltern waren auf keiner Liste zu finden. Sie hatten sich auf eigene Faust und aus Angst vor dem Zugriff der makedonischen Behörden durchgeschlagen und waren, wie viele Menschen in den großen Lagern von Tetovo und Skopje nicht registeriert. „Schließlich hat mir ein albanischer Taxifahrer geholfen und ist mit mir zu den Flüchtlingslagern gefahren. Sechs Lager haben wir in zwei Tagen abgeklappert. Eine Frau bei der islamisch-makedonischen Hilfsorganisation El-Hilal hatte mir ein Schild gemalt, auf dem in albanisch stand, daß ich meine Schwiegereltern suche“, berichtet Christa K. „Die Menschen haben in Zelten auf dem Boden geschlafen, nur mit Decken. Ringsum war Schlamm, die sanitären Anlagen haben überhaupt nicht ausgereicht“, berichtet Christa K.

Am vergangenen Sonntag fand sie die Schwiegereltern schließlich in dem von der makedonischen Regierung eingerichteten Lager bei Stenkovac, „unter Bedingungen, die man nicht einmal Tieren zumuten würde“.

Eigentlich hatte Christa K. gehofft, die Verwandten direkt ins Auto setzen zu können und sie nach Friedrichshafen mitzunehmen.

Doch seit der Entscheidung der Innenministerkonferenz, daß in Deutschland lebende Kosovo-Albaner ihre Angehörigen auch mit Verpflichtungserklärung der Gastgeber, für alle anfallenden Kosten aufzukommen, nicht auf eigene Faust hierher holen können, ist Christa K.s Schwiegereltern der direkte Weg nach Deutschland versperrt.

Bei den Betroffenen stößt die Entscheidung von Innenminister Schily auf Unverständnis und Unmut: „Außer dem albanischen Taxifahrer und El-Hilal hat mir niemand wirklich geholfen, meine Angehörigen zu finden, und am allerwenigsten die deutschen Botschaften. Wir haben zugesichert, daß wir selber für unsere Angehörigen sorgen können.“ So konnte Christ K. den Schwiegereltern nur etwas Geld, Lebensmittel und Kleidung dalassen, die sie mitgebracht hatte.

Inzwischen sind Christa und Adem K. wieder in Friedrichshafen; in Albanien haben die beiden sich wiedergetroffen. Helfer im Flüchtlingslager hatten Christa K. versichert, daß ihre Schwiegereltern am Montag oder Dienstag nach Deutschland ausgeflogen werden sollen. Nun hoffen die beiden erneut auf einen Anruf. Heike Kleffner

* Name von der Redaktion geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen