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Vom Affenhaus...

„Den bedeutendsten und dem Range nach ersten Monumentalbau des deutschen Volkes“, nennt die Deutsche Bauzeitung den Reichstag, den keiner mag: „Leichenwagen“ nennen es die Abgeordneten, als „Affenhaus“ tituliert es Kaiser WilhelmII.

Nach einer antidemokratischen Kampagne gegen den Architekten Ludwig Bohnstedt, dessen Entwurf den ersten Wettbewerb 1872 gewann, wird der Oppenheimer Paul Wallot mit dem Bau beauftragt. Grundsteinlegung am Königsplatz ist am 9. Juni 1884. Als nach zehnjähriger Bauzeit der Schlußstein gelegt wird, findet die Parlamentseröffnung noch bei Kaisers im Stadtschloß statt. Wie der Bau wird auch sein Architekt – ein Nichtberliner – zunächst geschmäht. Dessen vielgelobte, auf einer rechteckigen Basis fußende „Wallot-Kuppel“ aus Stahl und Glas ist allerdings die Schöpfung des preußischen Oberbaurats Hermann Zimmermann.

„Dem Deutschen Volke“ – die Installation der „pluralistischen“ Widmung bringt WilhelmII. erst 1916 – als demokratisches Zugeständnis angesichts der politischen Lage im Ersten Weltkrieg – übers Herz. Was freilich nicht verhindert, daß bereits zwei Jahre später Philipp Scheidemann dort die Republik ausruft und die Berliner Arbeiter-und-Soldaten-Räte im Plenum sitzen. „Dieser Brand ist der Beginn einer großen, neuen Epoche in der deutschen Geschichte“, diktiert Adolf Hitler einem britischen Journalisten noch in der Nacht des 27. Februar 1933 vor dem brennenden Reichstag. Der Holländer Marinus van der Lubbe wird als Tatverdächtiger festgenommen, es folgen Verhaftungen, Verbote und Verodnungen gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und schließlich die Aufhebung der Grundrechte. Der ausgebrannte Reichstag wird geräumt und für Ausstellungen genutzt, etwa 1938/39 für „Der ewige Jude“.

„Wir sahen in ihm das Ende des Krieges“, kommentiert 1945 ein russischer Offizier den Fall der von Wehrmacht und SS bis zuletzt verteidigten „Festung“ Reichstag. Von Fliegerbomben verschont, geht dieser in den letzten Kriegstagen in einem verheerenden Granathagel unter.

Die „Völker der Welt“ und Hunderttausende Berliner beschwört Blockade-Bürgermeister Ernst Reuter 1948 vor der Kulisse des ruinierten Reichstags. Und sechs Jahre später, am 22. November 1954, wird seine „Krone“, die völlig marode Kuppel, gesprengt. Die Bundesbauverwaltung schreibt ein Jahr später die Sanierung aus. Paul Baumgarten erhält den Zuschlag, und entkernt den Reichstag, in den inzwischen die Ausstellung „Fragen an die deutsche Geschichte“ eingezogen ist. Seit 1961 liegt der Bau nahe der Mauer. Bis 1989 weht die Fahne der BRD vom Eckturm gen Osten.

„Das Preußische taugt immer noch zu mehr als einer bloßen Karikatur“, findet Willy Brandt in der Hauptstadtdebatte des Bundestages. Der erklärt am 20. Juni 1991 Berlin zum Regierungssitz und den Reichstag – zuvor Kulisse für Rockkonzerte und die zentrale Einheitsfeier am 3. Oktober 1990 – zu seiner künftigen Heimstatt. Am selben Tag setzt der Ältestenrat des Parlaments eine Baukommission ein. Die stellt zunächst fest, daß der Reichstag 172.000 Quadratmeter zu klein für ein „modernes Arbeitsparlament“ sei – Neubauten müssen her.

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