: Bodo Hombach irrt durch den Tiergarten
■ Eröffnung des Reichstags: Trotz Verkehrschaos und ruppiger Polizeibeamter herrschte gelöste Stimmung rund um das Gebäude. Abgeordnete hetzten zu Fuß zur ersten Sitzung, das Volk vermißte Kücheneingänge und ein Fest
Die Eröffnung des Reichstagsgebäudes hat die Stadt gestern morgen lahmgelegt. Zwischen 9.00 und 14.00 Uhr ging rund um das neue Domizil des Bundestages nichts mehr. Im Tiergarten sowie in Mitte brach der Verkehr stellenweise völlig zusammen. Allein die Autofahrer, zu Fuß herbeieilende Abgeordnete und Hunderte von Schaulustigen ertrugen die Absperrungen vor dem Kuppelbau und den oft rüden Ton genervter Polizisten mit Fassung. „Es ist heute Kaiserwetter“, bemerkte eine Parlamentarierin aus dem Fränkischen. „Da sieht man das Chaos mit mehr Gelassenheit.“
Um den 669 Abgeordneten, Bundesministern, Ministerpräsidenten und zahlreichen Gästen eine reibungslose Vorfahrt am Südportal des Reichstags zu gewährleisten, hatte die Polizei bereits in der Nacht die Straßen rund um das Gebäude weiträumig abgesperrt. Die Scheidemannstraße sowie die Ebertstraße waren ebenso wie die Durchfahrt am Brandenburger Tor geschlossen.
Zu ersten Staus vor der Zufahrt am Reichstag kam es morgens gegen 9 Uhr, als Sicherheitsbeamte die „Schleuse“ für Bundestagsfahrzeuge kurzzeitig dicht machten. Die CDU-Parlamentarier Rupert Scholz und Dankwart Buwitt mußten ebenso zu Fuß zum Reichstag gehen wie die FDP-Frau Cornelia Pieper und andere. „Das machts nichts“, brummte Scholz. So könne man ja die Ansicht des umgebauten Gebäudes genießen. Andere waren weniger erfreut, da sie, mit Koffern und schwerem Gepäck bewaffnet, die 500 Meter zum Südtor zurücklegen mußten.
35 Schwester und Ärzte des Klinikums Buch dagegen waren richtig sauer: Weil die mit mehreren Hundertschaften angerückte Polizei jede Mißfallenskundgebung gegenüber dem Westportal, vor dem die Eröffnungszeremonie stattfand, verboten hatte, mußten sie ihre Transparente gegen die Schließung ganzer Klinikabteilungen am Brandenburger Tor ausrollen.
Als sich gegen 10.30 Uhr fast alle Abgeordneten eingefunden hatten und nur noch wenige schwarze Limousinen vorfuhren, wurde es für einen Moment hektisch. Kanzleramtsminister Hombach fehlte. „Hombach ist wegen eines Staus zu Fuß durch den Tiergarten unterwegs“, schallte es durch die Walkie-talkies. „Durchlassen!“ lautete der Befehl.
Für zahlreiche Zaungäste, die weniger die Minister als vielmehr das Gebäude mit Kuppel im Anschnitt fotografierten, kam die Eröffnung des neuen Parlaments einem Volksfest gleich: Jochen Leger aus Friedberg beispielsweise war von dem Event deshalb begeistert, weil er beobachten konnte, wie „halbe Schweine“ über die Reichstagstreppe zur Küche getragen wurden. Dem Reichstag fehle noch die Anlieferzone, stellte er fachmännisch fest. Und sein Nebenmann, „Kowatsch, ein echter Berliner“, konstatierte, daß der Umbau des 600 Millionen Mark teuren Reichstagsgebäudes noch andere Mängel aufweise. Als Kind sei er oft zu der Ruine gefahren, die „noch die vielen Ornamente hatte“. Trotzdem wolle er sich morgen zur Besichtigung der Kuppel anstellen. „Das wird die Attraktion in der Stadt.“
Von der Blaskapelle sowie den Reden Sir Norman Fosters und von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse auf den Stufen des Reichstags um 11 Uhr blieben die Besucher jenseits der Absperrungen gestern verschont. Schuld daran trugen die ständig über dem Haus kreisenden Helikopter.
Und als die „Schlüsselübergabe“ von Foster an Thierse endlich vollzogen war und die Abgeordneten sich ins Innere des neuen Plenarsaals zurückzogen, räumten allmählich auch die Zuschauer das Feld vor dem Reichstag. Etwas mehr Stimmung hätte sich Gerlind Busch aus Schweigen an der Weinstraße doch gewünscht: „Eine richtige Feier war das nicht“, sagte sie. Dafür gehe sie jetzt hinüber zur Bauarbeiter-Demonstration. Dort gebe es Kartoffelsuppe. Rolf Lautenschläger
Berichte Seite 1,6 und 7
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