■ Querspalte: Kuß und Krieg
Was der Krieg kann, kann der Kuß schon lange. Was hier als Sklavenaufstand der Technik imponiert, erscheint dort als Knastrevolte der Gefühle. Die Mittel, anderen Völkern seine Zuneigung zu bekunden, sind vielfältig. Manche zaubern mit ein paar Bömbchen wohlgestaltige Krater in des Feindes Geographie, andere lassen zähen Speichel auf des Gegenüber Wange zurück. Wieder andere sehen das Küssen als Vorstadium: erst Küssen, dann Kriegen. Die Politik leistet sich in Zeiten emotionaler Verkrustung starke Gefühle.
Eigentlich war das schon immer so. Der Große Bruder machte es vor. Rot-Grün, ja die ganze westliche Welt macht es nun nach. Allerdings haben die Kuß-Epigonen beim Anschauungsuntericht wohl ein wenig gepennt. Wenn Joschka Fischer Madeleine Albright abbusselt, stemmt sich nicht der ganze Leib in den Kuß, wenn sich Solana Jelzin nähern will, fehlt die Inbrunst eines feuchten Mundkusses zwischen zwei gestandenen Männern. So bringt man das internationale Gleichgewicht durcheinander. Schaut euch doch noch mal Honi und Breschnew auf dem Schönefelder Flugfeld an. Eine Umarmung, ein Schürzung, ein Aufeinandertreffen.
Ja, es gab tatsächlich Zeiten, da küßte der Nato-Chef Väterchen Boris. Das ist zwei Jahre her. Unbeholfen drückte Solana sein Ohr an Jelzins Hals, bestand sogar auf ein Doppelbussi. Jelzin war überrumpelt, wollte sich schon wieder hinsetzen, doch der spanische Dauerlächler schmiegte sich an ihn. In gut unterrichteten Kreisen hieß es daraufhin, Moskau habe nach dem Affront kurzfristig seine Sprengköpfe auf Madrid gerichtet. Zur Abwendung weiterer Annäherungsversuche. Seitdem küßt Jelzin keiner mehr. Markus Völker
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