: Perfekt inszeniertes Kindergartenniveau –betr.: „Die Friedensbewegung ist bankrott“, Interview mit Hans Christoph Buch, taz vom 12. 4. 99
Sehr geehrter Herr Buch! [...] Enttäuscht zum einen davon, daß sogenannte Intellektuelle das Kriegstreiben der Nato unterstützen, bin ich zum anderen vor allem leicht angewidert von der superfiziellen Banalität Ihrer Aussagen, die sich meines Erachtens immer bei denen findet, die sich für Gewaltanwendung aussprechen. Das ist Ausdruck der mißlichen Situation, in der sich die Pazifisten befinden, nämlich intelligent argumentieren zu müssen und trotzdem als naiv zu gelten, was die ebenso banale Erkenntnis stützt, daß zum Kriegführen nicht viel Geist gehört.
Bereits Ihre erste Aussage, Sie wollten mit ihrem Aufruf dem Eindruck einer Mehrheit der Kriegsgegner entgegentreten, stimmt mich sehr nachdenklich. Möchten Sie und Ihre Kameraden die demokratischen Rechte der Mehrheit verteidigen, oder paßt es Ihnen nicht, sich in der Minderheit zu fühlen? Ich halte diesen Beweggrund für sehr eigenartig. Würden Sie anders über diesen Krieg denken, wenn die Mehrheitsverhältnisse anders wären?
[...] Gratulieren möchte ich Ihnen zu Ihrer subtil in Selbstironie verpackten Erkenntnis, daß Menschen in Kriegszeiten zu regressivem Verhalten neigen: „Wer hat denn, bitte schön, die Gewalttätigkeiten angezettelt?“ Das, Herr Buch, ist perfekt inszeniertes Kindergartenniveau. Der böse Slobodan hat zuerst gehauen!
Gott sei Dank sprechen Sie dann noch über Psychologie. Bei der weisen Warnung, daß ein Nachgeben der Nato „doch ein psychologischer Sieg Milosevic'“ wäre, blieb mir vor lauter Aufklärung die Spucke weg. Nachdem jahrelang offensichtlich kein einziger Psychologe zu diesem Problem befragt worden war (erkennbar zum Beispiel an der schlitzohrigen Dummheit, den US-Diplomaten Holbrooke zu entsenden), sprudeln nun aus allen Ecken die profundesten Analysen, wie Ihre, Herr Buch. Da haben wir wirklich Glück gehabt, daß Sie uns den Krieg erklären! Noch eine Frage zum Verständnis: „ordentliche Militärverbände“ – sind das die, deren Befehlshaber international gegen die UN-Charta und hier national gegen das Grundgesetz verstoßen? (Angemerkt sei, daß für mich auch ein UN-Mandat keine Legitimation bedeutet. Ich finde es absurd und pervers, daß Töten legitimiert werden kann.)
Zu Ihrem eigentlichen Aufruf will ich mich nicht eingehend äußern. Ich halte die darin geäußerten Wahrheiten – die ich keinesfalls negiere! – für so altbekannt, Ihre Metaphern für so abgeschmackt und übertrieben pathetisch (“Politik der verbrannten Erde“), und vor allem Ihre Behauptung, es gebe keinen anderen Weg als Luftangriffe, für derartig arrogant und unüberlegt-endgültig, daß ich nur eines dazu sagen möchte: Nicht jede/r Schriftsteller/in hat automatisch einen Anspruch auf Intellektualität und schon gar nicht auf eine Lizenz zur politischen Meinungsmache. Christian Hans, Berlin
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