Kloster oder Kaserne, was für ein Unterschied

■  Nato-Bomben haben eine Belgrader Parteizentrale zerstört. Auch eine Autobahnbrücke über die Donau blieb von den Angriffen nicht verschont. Die Behauptung des Militärbündnisses, keinen Krieg gegen das serbische Volk zu führen, empfindet inzwischen jeder als blanken Zynismus

Die letzte Sendung des privaten Fernsehsenders „Koava“ in Belgrad war ein Pornofilm. Die Belgrader, die trotz Fliegeralarms nicht in die Luftschutzräume gegangen waren, sahen zwei als Bill Clinton und Monica Lewinsky maskierte Personen mit Zigarre und sonstigen Requisiten hantieren und das in solchen Machwerken übliche Tun. In den Streifen hineinmanipuliert war eine Inschrift: „CNN live“.

Koinzidenz oder nicht: Etwas später, um 3.20 Uhr morgens, schlugen drei Raketen in das 23stöckige Hochhaus ein, das die Silhouette von Neu-Belgrad dominierte. Früher war hier das ZK der KP Jugoslawiens. Das Gebäude erbte die linke Sammelpartei JUL, deren Vorsitzende, Prof. Mirjana Markovic, die Gattin von Slobodan Miloevic, ist. Es wurde zu einem Geschäftszentrum umgebaut und größtenteils vermietet.

JUL und die Regierungspartei von Präsident Miloevic, SPS, logierten in einigen Etagen, aber auch andere Mieter bezogen die modernen Büroräume. So war hier die Fernsehsender „Koava“ und „Pinkk“ angesiedelt, dessen Besitzer, eljko Petrovic, führendes Jul-Mitglied ist, aber auch der Radiosender „Koava“, der der Präsidententochter Marija Miloevic gehört, und vor allem Unterhaltungsmusik sendete.

Interessanterweise stürzte das Haus trotz eines dreifachen Volltreffers nicht zusammen, brannte jedoch innen völlig aus. Bewohner von Neu-Belgrad berichten, der Einschlag sei schwächer zu hören gewesen als das Bombardement des viel entfernteren Arbeitervorortes Rakovica, was wohl bedeutet, daß andere Projektile benützt wurden, als wenn man Industrieanlagen vernichten will.

Die Luftangriffe verwandeln serbische Städte in Trümmerhaufen. Auch viele Gebäude in der Nachbarschaft der Ziele werden beschädigt. Die Erklärungen führender westlicher Politiker, der Krieg werde nicht gegen die Serben, sondern nur gegen das Regime und sein Militär geführt, empfindet hier jeder als blanken Hohn.

Die größte Tabakfabrik auf dem Balkan in der Stadt Ni in Zentralserbien wurde dem Erdboden gleichgemacht. Seither verfluchen alle Raucher des Landes die Nato.

In der Nacht zu Mittwoch wurde die größte Autobahnbrücke über die Donau bei Beska, 50 Kilomter von Belgrad, zerstört. In Novi Sad vernichteten Nato-Bomben das Gebäude der Gebietsverwaltung, einen wunderschönen, weißen Palast mit einem viereckigen hohen Turm aus den dreißiger Jahren.

Bemerkenswert dabei ist, daß Novi Sad, die Hauptstadt der Vojvodina, von einer Koalition von Parteien verwaltet wird, die in Opposition zu der serbischen Regierung stehen. Doe Vojvodina ist stolz, das multikulturelle Zusammenleben der vielen hier angesiedelten Völkerschaften – Serben, Ungarn, Slowaken, Rumänen, Kroaten, Ruthenen, Roma – trotz aller Schwierigkeiten bewahrt zu haben. „Unsere Gemeinschaft wurde getroffen!“ sagte der ungarische Bürgermeister von Subotica, Jozsef Kasza. Bestürzung bei vielen Serben löste auch aus, daß im Kosovo das Kloster Gracanica aus dem 14. Jahrhundert, das unter der Türkenherrschaft erhalten und als kulturelles Erbe auch von Albanern verehrt wurde, beschädigt worden ist. „Von Bomben aus christlichen Ländern!“ erklärte weinend ein alter Mönch. Auch andere Gotteshäuser, Krankenhäuser, Schulen, Bibliotheken, Archive und Wohnviertel sind teils von in der Nähe einschlagenden Treffern in Mitleidenschaft gezogen, teils von Bombenfehlwürfen vernichtet worden. Ein junger Belgrader, der via Satellit jede Nacht die Nachrichten der westlichen TV-Stationen verfolgte, sagt: „Tatsächlich wissen die meisten von uns wenig oder nichts über das Leid der vertriebenen Albaner. Aber die Bürger der westlichen Wohlstandsländer, deren Bombenflugzeuge und Raketen noch keinem Albaner geholfen haben, wissen genausowenig von dem, was mit uns geschieht und was wir fühlen.“ Andrej Ivanji, Belgrad