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Methadonprogramm läuft „aus dem Ruder“

■ Wegen extrem hoher Beteiligung sehen Hilfeträger viel „Nachholbedarf“

13 Jahre war Astrid „drauf“. Seit zwei Jahren schluckt sie die Ersatzdroge Methadon – und kommt so „gut klar mit neuer Wohnung und so“. Astrid arbeitet beim Substituierten-Treff „J.E.S“ in Findorff. Dort trifft man sich morgens um 11 Uhr zum Frühstück im Café. Die Diskussion über Todesfälle durch Methadon (s. S. 21) kommt hier nicht gut an. „Quatsch“, sagen dazu die Gäste an der Theke. „Wenn einer mit Methadon falsch umgeht, hätte er genausogut auch durch etwas anderes draufgehen können“, so das gemeinsame trockene Fazit.

Denn eigentlich hat man hier ganz andere Probleme: Das Methadonprogramm laufe wegen der hohen Beteiligtenzahlen nämlich langsam „aus dem Ruder“, warnen Drogenhilfeträger: Die Hansestadt besetzt bundesweit mittlerweile einen Spitzenplatz in Sachen Substitution. Rund 60 Ärzte vergeben allein an 1.500 Abhängige Methadon und Polamidon. Auf einen Arzt kommen zum Teil bis zu 100 Substituierte, die wegen schwerer Krankheiten oder sozialer Probleme Methadon als Heroinersatz verschrieben bekommen. Das wirkt ähnlich auf Körper und Gehirn – nur der Kick bleibt aus.

Ein Neuanfang, bei dem viele Hilfe brauchen. Doch „bei soviel Andrang bleibt bei Ärzten Hilfe oft aus“, sagt Astrid zu der schon vor sechs Jahren in einem Gutachten konstatierten mangelhaften „psychosozialen Betreuung“. Sie ist neben der laxen Vergabepraxis mittlerweile nur einer von vielen weiteren „Defiziten“, klagt der „Landesverband für akzeptierende Drogenarbeit“ (akzept). So muß ein Großteil der rund 1.000 Substituierten immer noch mit knapp 20 Betreuerstellen auskommen. Ärzte klären zudem viel zu wenig über die Hilfen zum Ausstieg, zur Wohnungssuche oder zum Schuldenabbau auf. Außerdem problematisch: Der offenbar hohe Beigebrauch von Drogen trotz Substitution.

Defizite, die es aufzuarbeiten gilt, fordert Georg Kurz vom Landesverband „akzept“: Nach zehn Jahren Substitution sei es nun Zeit, endlich „ein Fazit zu ziehen und zu fragen: Wo gibt es Nachholbedarf?“ Aber von solch einer Gesamtauswertung hat die Große Koalition in den vergangenen vier Jahren die Finger gelassen. Die Grünen haken nun kurz vor Ende der Legislaturperiode erstmals nach – mit einer kleinen Anfrage an den Senat.

Wer hat seit 1990 Methadon bekommen? Half die Substitution beim Ausstieg? Und wie läuft die psychosoziale Betreuung?, fragen die Grünen. Diskutiert werden soll über das Ergebnis aber erst nach den Wahlen im Zusammenhang mit möglicher Heroinvergabe, erklärt Sozialpolitikerin Karoline Linnert. Die Grünen wollten nämlich dezidiert ganz ohne Aufregerthema Drogen durch den Wahlkampf kommen.

Derweil stellen Bremens Ordnungshüter der Substitution schon mal vorab ein schlechtes Zeugnis aus. Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) forderte jüngst von Gesundheitssenatorin Tine Wischer (SPD) mehr Kontrolle, und der Leiter der Bremer Rauschgiftinspektion bilanziert auf Nachfrage trocken: Das Methadonprogramm sei damals als „großer Anker“ gestartet worden, so Michael Haase – das ursprüngliche Ziel der puren Drogenfreiheit nun offenbar aber nicht erreicht worden.

Düstere Worte, die die Bremer Drogenhelfer aber so nicht stehen lassen wollen. Immerhin verhelfe Methadon vielen zu mehr Gesundheit, Lebensqualität und Stabilität, sagt auch Christine Gerlach von „akzept“ – wie der 35jährigen Astrid aus dem Substituierten-Treff „J.E.S“. aus Findorff. kat

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