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Märkte und Knäste: K-Town Blues  ■ Von Joachim Frisch

Mehr als einmal lebenslänglich ist es her, daß ich zum ersten Mal einen Knast von innen gesehen habe. Anfang der 80er Jahre durfte die Kaiserslauterer Bluesband „Savannah“ in der Gefängniskapelle der örtlichen Justizvollzugsanstalt auftreten. Als Bassist war ich eine eher marginale Figur und stand bei den Gigs meistens in einem schattigen Teil der Bühne herum. Doch der Auftritt im Knast sollte mir einen gewissen lokalen Ruhm einbringen.

Das Lampenfieber war höher als sonst in den Kneipen und Schulturnhallen, immerhin wartete diesmal die örtliche Luden- und Dealerprominenz. Sicher, der Gig war ideologisch gut vorbereitet, Züge durch die westpfälzische Halbweltgemeinde gehörten ja zum kulturellen Auftrag des Bluesmusikers, mit der Musik der amerikanischen Sklaven demonstrierten wir Solidarität mit den Geknechteten, Gedemütigten und Beleidigten des Systems, und als Taxifahrer kannte ich auch diejenigen Spelunken und Etablissements, die den Bandgenossen fremd geblieben waren. Daß aber nun die Elite der ortsansässigen Unterwelt ihre Aufmerksamkeit eine Stunde lang allein auf uns richten sollte, erschien mir doch nicht ganz harmlos. Ich war voller Mulm.

Der erste Blick von der Bühne ins gut gefüllte Auditorium – niemand hatte die Alternative zum Konzert, den Einschluß in die Zelle, gewählt – verschlug mir die Sprache: jede Menge bekannte Visagen. In der ersten Reihe saß der dürre Roland, der unentwegt mit seinen Dans in Karate und allen anderen Kampfsportarten zu prahlen pflegte, zwei Plätze neben ihm Patrick, der notorisch benebelte Franzose, der bei seiner Lauterer Tante lebte, dahinter der alte Erich, der sich noch vor kurzem jeden Abend in der „Krone“ die Kanne gegeben hatte, dazu einige ehemalige Taxi-Stammfahrgäste. Aus mehreren Winkeln winkte man mir zu, mein Unbehagen wich einem seltsamen Stolz dazuzugehören. Als Sänger Savannah-Schorsch dann ein Memphis-Slim-Stück mit einer Inbrunst heulte, als sei er selbst gerade zu „lebenslänglich“ verurteilt worden, fühlte ich mich fast heimisch.

Nach dem Konzert wurde eine Stunde Umschluß für Musiker und Knackis erlaubt. Ich erfuhr, daß Erichs „Alte“ ihn „mit einer Alimentensache in die Pfanne gehauen“, daß Roland im Suff einen Taxi-Kollegen, der ihn „bescheißen wollte“, ausgeraubt und daß Patrick sich sein Kilo Dope von einem „linken Dealer zurückgeholt“ hatte, mit Hilfe einer „Wumme“. Er lud mich ein, seine Zelle anzugucken. Sie war kaum zwei Meter breit, die Gitterstäbe wirkten von hier drinnen ungleich solider als von außen, ansonsten sah es aus wie im Jugendzimmer meines 14jährigen Bruders: die Wände tapeziert mit bunten Postern, Hendrix, Deep Purple, Easy Rider, Pin-ups, mitten im Raum eine Staffelei, an der Wand ein Schreibtisch, eine Gitarre und ein Bett. Neben den Gitterstäben war es das offene Klo, das nicht so recht ins Jugendzimmerambiente paßte. Ich mußte mir Patricks zweihundert Zeichnungen und Ölgemälde von Frauen und Landschaften und Motorrädern ansehen, vor den Radierungen wurde ich entlassen. Patrick mußte noch acht Monate bleiben. Mir aber eilte von da an in Kaiserslauterer Musikerkreisen der Ruf eines einflußreichen Mannes voraus.

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