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Leibwache für den Vaterlandsverräter

Der grüne Abgeordnete Cem Özdemir ist verhaßt bei türkischen Nationalisten wie bei kurdischen PKK-Anhängern. Kurz vor dem Prozeß gegen den PKK-Führer Abdullah Öcalan kann er nur noch mit Bodyguards vor die Tür  ■ Von Silke Mertins

Ein rotblonder Vollbartträger mit flauschigem Haarkranz und treuherzigen Augen betritt als erster das Lokal. Gemütlich sieht er aus und zuverlässig, einer, dem man sein Sparbuch anvertrauen würde. Neben ihm sein Kollege: etwas kantiger und verschlossener, streicholzkurze Haare, ordentlich geputzte Schuhe. Obwohl beide in Durchschnittsanzügen daherkommen, erkennt man auch ohne Blick auf den Knopf im Ohr: Die auffällig unauffälligen Herren sind vom Bundeskriminalamt.

Routiniert wird das italienische Restaurant in Berlin-Mitte in Augenschein genommen. Es ist neun Uhr morgens und nur wenige Gäste rühren unmunter in ihren Kaffeetassen. Keine Besonderheiten. Hinter den breiten Rücken der Beamten wird die schmächtige Gestalt ihres Schützlings sichtbar: Cem Özdemir, Grüner, Bundestagsabgeordneter und zur Zeit eine der meistgefährdetsten Personen der deutschen Politik.

Der 33jährige Schwabe setzt sich, verlangt Kaffee und zu wissen, was es denn leckeres Vegetarisches zu essen gibt. Er ist – türkische Herkunft hin, Manneskraft her – streng mit sich und ißt Fleisch schon lange nicht mehr; seine Kindheit hat er in einer Kleinstadt in Schlachthofnähe zugebracht. Hähnchen, Steak und Spieße wollen ihm seitdem nicht mehr munden.

Das Frühstück kommt. Özdemir müht sich mit einem Mozzarella-Tomaten-Baguette von gigantischem Ausmaß ab. Und während links und rechts der Brotbelag zu entgleiten droht, schwärmt er vom Konzert des Vorabends: In Begleitung von fünf Bodyguards war der Jungpolitiker bei Tarkan, dem Gott des Türkpops: „Das war einfach super.“

Weit minder begeistert über das musikalische Freizeitprogramm des Abgeordneten sehen die Schutzleute aus, die sich am Nebentisch niedergelassen haben und den Eingang im Auge behalten. Sagen dürfen und wollen sie zu Sicherheitsfragen nichts, ihre Namen schon gar nicht. Doch man kann sich auch so ausmalen, daß Veranstaltungen dieser Art für eine Leibwache ein Alptraum sind. Massenweise Immigranten türkischer Herkunft, von denen man nicht weiß, wie sie zum Schutzobjekt stehen.

Seit der Festnahme des PKK- Führers Abdullah Öcalan gilt – auch wenn das offiziell niemand bestätigen will – höchste Sicherheitsstufe für Cem Özdemir. Türkische Nationalisten wie PKK-Anhänger hassen den kritikfreudigen und Menschenrechte einklagenden Grünen gleichermaßen.

Nachdem das türkische Massenblatt Hürriyet den Einzug des eingebürgerten Migranten in den Bundestag vor viereinhalb Jahren zunächst bejubelt hatte (“Unser Sieg“), ist er inzwischen zur persona non grata geworden. Als „Terroristenfreund“ gilt er, als „Vaterlandsverräter“, als „Sonderbeauftragter für die Assimilation der türkischen Gemeinschaft“, als „Dolch in unserem Rücken“ – eine antitürkische Kampfmaschine und nationale Bedrohung.

„Wir haben alle Stadien einer Beziehung durchlaufen,“ sagt der gelernte Sozialpädagoge, „von der einseitig erklärten Liebe bis zur offenen Kriegserklärung.“ Wochenlang erschien sein Foto neben dem von Öcalan. Botschaft: die stecken unter einer Decke.

Und auch die Kurden sehen in Cem Özdemir alles andere als einen Verbündeten. Als er auf dem kurdischen Sender Med-TV im Telefongespräch mit dem großen Vorsitzenden, „der Sonne Kurdistans“, wagte, dessen Strategie anzuzweifeln, stieß Öcalan offene Drohungen aus. „Er sagte zu mir: Das kurdische Volk wird es verstehen, sich an deine Fersen zu heften“, erzählt Özdemir. Die Hürriyet titelte unbeeindruckt: „Özdemir berät PKK-Vorsitzenden.“

Die Bodyguards gucken auf die Uhr. Zeit aufzubrechen. Die dunkle Nobelkarosse fährt vor. Personenschutz kann sehr komfortabel sein. Cem Özdemir sinkt in die weichen Polster, blinzelt in die Frühlingssonne und seufzt wohlig. Ja, er freut sich auf seinen Umzug nach Berlin. Richtig wohnen will er in der Hauptstadt, seine Bleibe im Schwabenland und sein Zimmer in Bonn aufgeben.

Das Reichstagsgebäude kommt in Sicht und die Limousine kurvt schwungvoll vor den Eingang. Özdemir nimmt zwei Stufen auf einmal – das findet er dynamisch – und seine beiden Schatten beeilen sich, Schritt zu halten. Es wird gewunken, begrüßt und Schwätzchen gehalten. Der prominenteste Deutschtürke der Republik scheint hier alle und jeden zu kennen und stürzt auf die Putzfrau wie auf die Gesundheitsministerin gleichermaßen begeistert zu.

Einzig an der ökumenischen Segnung des neuen Sitzes des Bundestages kann er keinen Gefallen finden. „Seht mal,“ sagt er zu den beiden Frauen neben sich, „hinter dem Priester und dem Pastor steht ein islamischer Geistlicher.“ Hälse werden gereckt, „Wo denn?“ gefragt. Und Özdemir lacht herzlich darüber, daß man die Integration nichtchristlicher Religionen bei diesem Ritual tatsächlich für denkbar hält. Als die Kirchenmänner zum Gebet auffordern und hunderte von Volksvertretern und Gästen das „Vater Unser“ aufsagen, wird ihm dann doch ein wenig klamm. „Soviel zum Thema Trennung von Staat und Kirche“, sagt er.

Özdemir entdeckt erfreut den Fraktionskollegen Volker Beck. Mit dem muß er jetzt erst einmal „schwäbisch schwätze“. So ein Ärger, daß er schon ein Käsebrötchen gegessen hat, klagt er dann im Fahrstuhl. Beim Empfang gibt's Häppchen umsonst. „Sowas muß man einem Schwaben doch sagen.“

Der Bundestag ist nur bedingt Feindesland. Nicht jeder kommt hier rein und überall im Gebäude sind Sicherheitskräfte postiert. Özdemirs Beschützer entspannen sich. Der Bärtige lehnt gemütlich rauchend an der Mauer der Sonnenterrasse am Fuße der Glaskuppel und läßt seinen Blick abwechselnd über die Baustellen und die Besucherströme schweifen. Kollege Streichholz macht erst einmal Pause.

„Nein, ich habe nicht wirklich Angst“, behauptet Özdemir. „Viel schlimmer ist es für meine Eltern.“ Morgens kommen alle türkischen Kollegen des Vaters mit der Hürriyet unterm Arm in die Fabrik und fragen, wieso sein Sprößling so mißraten und ein Terroristenfreund geworden ist. „Die können sich nicht vorstellen, daß eine Zeitung bewußt lügt, daß sie hetzt und diffamiert.“ Die Mutter trifft beim Einkaufen einen Jugendfreund ihres Sohnes, der zu ihr sagt: „Man sollte ihm die Zunge rausschneiden.“ Anrufer fordern die Eltern auf, Cem zu verstoßen. „Es ist bis heute nicht einfach für sie.“

Er selbst hat sich damit abgefunden, daß die Bodyguards nun die Menschen sind, mit denen er den größten Teil seiner Zeit verbringt. Und die meisten, die ihm zugeteilt werden, kann er auch recht gut leiden. „Die sind mit Herz bei der Sache und geben mir nach der Veranstaltung oft sogar ein Feedback.“

Und ein Zurück in die Anonymität gibt es ohnehin nicht mehr. „Beim türkischen Militär gibt es Esel, die man vorschickt, damit sie, und nicht die Soldaten, auf Minen treten. Die nennt man 'rescho'. Ich bin auch so ein 'rescho' für die Türkei, ich lasse die Minen hochgehen.“

So wie bei Öcalans Festnahme. Der PKK-Führer gehöre nach Den Haag, sagte Özdemir. „Und mir fallen auch noch andere Namen ein, die dorthin gehören.“ Türkische etwa, die von Staats wegen für Greueltaten an Kurden verantwortlich sind. Äußerungen wie diese garantieren ihm Feindschaft auf beiden Seiten.

Als das Bundeskriminalamt zum ersten Mal vor drei Jahren anrief, schoß ihm erschrocken durch den Kopf: „Was wollen die von mir?“ Im Geiste ging der Grüne, ein Schwiegermuttertyp mit untadeligen Manieren, mögliche Vergehen durch. Ihm wollte nichts einfallen, und Grund der Kontaktaufnahme waren auch nur die Antiimperialistischen Zellen, die seine Angepaßtheit ans deutsche System geißelten. Später kamen rechtsradikale Drohungen hinzu. Und nun türkische und kurdische Nationalisten, die ihm abwechselnd Hochverrat und Führerbeleidigung vorwerfen.

Özdemir bricht mit seinem Gefolge vom Bundestag auf. „256 verläßt den Veranstaltungsort“, raunt der Kantige in sein Funkgerät. Zwischen zwei Terminen in einem Restaurant kommt strahlend der türkische Kellner auf ihn zu. „Sie sind doch Cem Özdemir!“ Der Bärtige und Kollege Streichholz spitzen aufmerksam die Ohren. „Nein, ich bin sein Bruder und werde ständig mit ihm verwechselt.“ Der Kellner lacht gluckernd, nimmt die Hand des Grünen, schüttelt sie, klopft ihm auf die Schulter und sagt: „Bleiben Sie, wie Sie sind!“

Die Beschützer wenden sich wieder ihren Getränken und Özdemir seinem Freund zu; er ist auch bei den Grünen und heißt – kein Scherz – auch Özdemir, Atti mit Vornamen. Der 27jährige Doppelpaßler mit strahlenden Augen und Brusthaaren, die aus dem V-Ausschnitt rausgucken, ist Sprecher von Immi-Grün, und kann sich noch immer leidenschaftlich darüber erregen, daß Cem nicht Ausländerbeauftragter geworden ist. Was ist mit der Partei los? Was fällt denen ein? Doch Cem Özdemir ist längst froh über diese Entscheidung. Nun ist nicht der Migrant zuständig für Migrantenfragen, sondern ist innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. „Jetzt verhandle ich über alle innenpolitischen Gesetze mit.“

Atti Özdemir kramt einen Zettel raus und trägt vor, was Immi-Grün zum Kovoso-Krieg beschlossen hat, nämlich vor allem keine Gnade für Miloevic. Verbittert es Cem Özdemir, daß der Einsatz für die Menschenrechte der Kurden für den Westen nie wirklich eine Rolle gespielt hat? „Was viele Linke nicht begreifen,“ sagt er, „ist, daß es in der Türkei nicht um Völkermord geht.“

Kurden, die sich assimilierten und oftmals sogar türkischer würden als Türken, würden nicht verfolgt, sondern nur die, die sich weigerten, ihre Identität aufzugeben. „Das ist ein großer Unterschied.“ Und gerade weil die Nato nun im Kosovo gegen Völkermord vorgehe, „werden die Menschenrechte künftig in der internationalen Politik einen ganz anderen Stellenwert bekommen.“ Mit dem Hinweis auf eine „innere Angelegenheit“ komme man künftig nicht mehr durch.

Der Wagen fährt vor, es geht zum ZDF. Den dunklen Hinterhof, der zum Aufnahmestudio führt, wo die 3sat-Sendung „Berliner Begegnungen“ aufgenommen werden soll, gefällt den Bodyguards nicht besonders. Der Kantige läuft vor dem Grünen, der Bärtige hinter ihm. Moderator Peter Huemer hält schon Özdemirs neues Buch „Currywurst und Döner“ – den Titel hat sich der Vegetarier nicht selbst ausgesucht – in der Hand und verschwindet in der Maske.

Zwei Reporterinnen von Radio Multikulti wollen auch noch schnell einen O-Ton ergattern. Özdemir flirtet ein wenig, was ihm nichts nützt. Gnadenlos verraten die jungen Frauen den 3sat-Leuten: „Sein Türkisch war wirklich eine Katastrophe. Inzwischen ist es ganz passabel.“

Özdemir lacht. Er ist eben Kleinstadt-Schwabe. In seiner Kindheit gab's um ihn herum keine türkische Community. Und das Schwäbische ist auch die liebste politische Waffe des Deutschtürken, der akzentfrei hochdeutsch spricht. „Wir“, sagt er später in die Kameras, und meint damit, wir Deutschen. „Wir haben die erschte Generation doch herhergeholt.“

Zwölf Stunden redet der Grüne – für den ein Schweigegelübde ganz sicher nichts wäre – nun schon fast ununterbrochen und spricht immer noch druckreife Sätze. Die Regie ist entzückt. Schnell noch ein Gläschen Sekt, dann geht's zum Nachtzug. Eine Kabine für ihn, eine für den Bodyguard nebenan. „Wenn irgendwas ist, werd' ich dreimal klopfen.“

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