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Der Balanceakt wird mit jedem Tag schwieriger

Die griechische Bevölkerung lehnt geschlossen den Nato-Luftkrieg gegen Jugoslawien ab, Athen muß aber die Bündnisverpflichtungen erfüllen. Kommt es zum Bodeneinsatz im Kosovo, verliert die Regierung Simitis ihre knappe Unterstützung  ■   Aus Athen Niels Kadritzke

Seit drei Tagen hat Griechenland einen Verrückten mehr. Der Matrose Stelios Kotsoyannis wurde von einem Militärgericht zur Beobachtung in die Militärpsychiatrie eingewiesen, weil er seinen Dienst auf dem Zerstörer „Themistokles“ verweigert. Das griechische Kriegsschiff lief ohne Kotsoyannis in die Adria aus, um sich einem Nato-Verband einzuordnen, der die Ölzufuhr zum montenegrinischen Hafen Bar abschneiden soll.

Der Matrose will mit Militäroperationen gegen Jugoslawien nichts zu tun haben. Damit steht er nicht allein. Nach Meinungsumfragen sind 96 Prozent der griechischen Bevölkerung gegen den Krieg in Jugoslawien und für eine sofortige politische Lösung. [S'agapo, Ellatha. d.sin] Der Beschluß des Militärgerichts sagt also weniger über die psychischen Probleme des Verweigerers aus als über die schizophrene Situation, in der sich der griechische Staat befindet. Die Regierung Simitis muß eine Politik verfolgen, die ihren minimalen Bündnisverpflichtungen ebenso gerecht wird wie den Gefühlen der Nation, die in geschlossener Front gegen die Politik der Nato steht.

In dieser Volksfront fließen die unterschiedlichsten politischen Impulse und Strömungen zusammen: Die Kirche zürnt durch den Mund ihres Erzbischofs Christodoulos gegen den „Antichristen Clinton“, der einen Kreuzzug gegen die Orthodoxie im Sinn habe. Die orthodoxen Kommunisten sehen sich in ihrem Kampf gegen die imperialistische Vormacht bestätigt, die schon den realen Sozialismus in die Knie gezwungen habe. Die Stimmung zwischen diesen Polen wird getragen von einem neu entfachten Antiamerikanismus und überwölbt durch eine historisch-nostalgische Sympathie für die serbischen Nachbarn, die im Zweiten Weltkrieg derselben Nazi-Okkupation ausgesetzt waren wie die Griechen. Ihren bizarrsten Ausdruck findet die Regenbogenkoalition griechischer Emotionen in der Forderung von Mikis Theodorakis, jetzt müsse das Land aus Solidarität mit Belgrad dem Staatenbund Rußland-Weißrußland-Jugoslawien beitreten.

Allerdings geht es in den Köpfen der meisten Griechen nicht so konfus zu wie in der politischen Phantasiewelt des berühmten Komponisten und Widerstandskämpfers gegen die Junta-Herrschaft. Die griechischen Sympathien für die orthodoxen Serben gehen auch keineswegs so weit, daß sie das Regime Miloevic umfassen würden. In den Menschenrechtsverletzungen der Serben sehen 52 Prozent der Bevölkerung die entscheidende Ursache für den Kosovo-Krieg. Und Volkes Stimme äußert sich auch in dem Sinne, eine Bombe auf den Kopf von Miloevic wäre ein probates Mittel, dem serbischen Volk den Bombenkrieg zu ersparen.

Die emotional gefärbte Opposition der Griechen gegen den Krieg im nördlichen Balkan nährt sich auch aus rationalen Erwägungen. Die antiamerikanische Argumentation verweist darauf, daß die USA willkürlich definieren, wo die Nato ethnischen Säuberungen entgegenzutreten habe und wo nicht. Im Fall Zypern nehme Washington die Vertreibung von griechischen Zyprioten und die Teilung einer unabhängigen Republik hin; im Falle der Kurden sehe man die Türkei durch Separatisten bedroht, die Kosovo-Albaner hingegen gelten als legitime Unabhängigkeitskämpfer und Waffenbrüder. Wenn also die USA ihre Interventionspolitik an den eigenen Interessen ausrichteten, habe auch Griechenland das Recht, seine nationalen Interessen zur Geltung zu bringen. Diese Interessen sind auch in wirtschaftlicher Hinsicht bedroht, da ein langanhaltender Krieg die griechischen Exporte nach Euro-Land verteuern und die keimenden Handelsbeziehungen zu den nördlichen Balkannachbarn erstickt würden.

Auf die nationalen Interessen beruft sich auch die Regierung Simitis. Sie verweist darauf, daß sie als einziges Balkanland, das zugleich der EU und der Nato angehört, vor einem ganz besonderen Dilemma stehe. In Athen betont man, daß man sich den Bündnisverpflichtungen nicht entziehen wolle, diese aber hätten gewisse Grenzen. Griechenland beteiligt sich zwar an der Nato-Luftüberwachung und an der Adria-Flotte, nicht aber an den Luftangriffen selbst, die man als unverhältnismäßiges Mittel ablehnt.

Diese Balance zwischen Bündnistreue und Kritik an der Strategie der Nato ist allerdings mit jedem Kriegstag schwerer durchzuhalten, und zwar in beide Richtungen, gegen die Demonstrationen im eigenen Land und gegen den Druck aus Washington, der dann unausweichlich werden würde, wenn das Bündnis den Einsatz von Bodentruppen beschließt.

Ein Übergang vom Landkrieg zum Bodenkrieg ist für die Athener Regierung ein Horrorszenario. Seit die USA zu Beginn der Militäroperationen in Athen anfragen ließen, ob man etwas dagegen habe, wenn türkische Truppenkontingente über den Hafen von Thessaloniki in Richtung Kosovo transportiert würden, sind die griechischen Politiker alarmiert. Der Marsch von Kampftruppen durch Nordgriechenland würde die öffentliche Meinung, die heute noch mit knapper Mehrheit hinter der Balancepolitik der Regierung steht, vollends umkippen lassen. Und auch wenn keine türkischen Kontingente dabei wären, müßte eine Landung von Nato-Kampftruppen in Thessaloniki wie eine Operation in feindlicher Umgebung organisiert werden.

Um dieses Szenario abzuwenden, ist Außenminister Giorgos Papandreou verzweifelt bemüht, jede nur denkbare Initiative für eine politische Krisenlösung zu unterstützen. Deshalb unterhält die Athener Regierung besonders enge Kontakte zu Bonn und befürwortet alle Versuche, Moskau stärker in die Krisendiplomatie einzubinden. Doch die griechische Hoffnung, einen Bodenkrieg um das Kosovo zu vermeiden, stützt sich in erster Linie auf eine Interessenallianz, die vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Seit Beginn des Luftkrieges hat die Regierung der Nachbarrepublik Makedonien ein ähnlich existentielles Interesse, ihr Territorium nicht als Aufmarschgebiet für einen Nato-Kampfeinsatz genutzt zu sehen. Auch hier würde sich die öffentliche Meinung des slawomakedonischen Mehrheitsbevölkerung gegen die Regierung wenden. Angesichts dieser gemeinsamen Interessen hat Präsident Gligorov, der die Existenz seines Staates durch ein großalbanisches Projekt bedroht sieht, Griechenland zum „strategischen Verbündeten“ ausgerufen.

In Athen begrüßt man die Zusammenarbeit, macht sich aber keine Illusionen darüber, daß beide strategischen Partner im Ernstfall den Wünschen der Nato nachgeben müßten. Die Regierung in Skopje wäre mit Wirtschaftshilfe und der Aussicht auf rasche Nato-Mitgliedschaft zu „überzeugen“. In Athen könnte der Hinweis auf die Bündnissolidarität ausreichen, zu der Griechenland in der Tat vertraglich verpflichtet ist. So muß sich Außenminister Papandreou derzeit darauf beschränken, den Verbündeten dringend abzuraten, die Griechen in ihr größtes Dilemma zu stürzen.

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