: Nato-Falken gewinnen an Boden
■ Die Forderungen nach einem Einsatz von Bodentruppen im Kosovo-Krieg werden immer lauter. Die Nato will jedoch nach eigenen Angaben weiterhin mit Luftangriffen versuchen, Milošević zum Einlenken zu bewegen
Washington/Brüssel (rtr/AP/dpa) – Nato-Generalsekretär Javier Solana will nach Angaben aus US-Regierungskreisen Pläne für einen Einsatz von Bodentruppen im Kosovo prüfen lassen. Er habe das Nato-Militärkommando zu einer aktuellen Neubeurteilung dieser Frage ermächtigt, sagte Solana der Washington Post. In der Allianz herrsche Einigkeit darüber, daß eine Überprüfung der Pläne „klug und nützlich“ sei. Die US-Position habe sich aber nicht geändert: Bill Clinton beabsichtige nicht, Bodentruppen in ein Umfeld zu entsenden, das dies nicht zulasse. Die US- Regierung habe volles Vertrauen in die Nato-Militäroperation aus der Luft und werde sie weiterverfolgen, bis alle Forderungen erfüllt seien.
Bei den Nato-Luftangriffen wurde gestern erstmals eine Residenz des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević zerstört. Er selbst und seine Familie waren nicht zu Hause. Der Angriff galt nach US- Darstellung nicht dem Leben von Milošević. Es habe sich vielmehr um eine Attacke auf eine „Kommando- und Kontrollzentrale“ gehandelt, sagte ein Pentagon-Sprecher in Washington. Sie zeige, daß die Nato ihren Druck auf die jugoslawische Führung stetig erhöhe. Die Belgrader Regierung sprach dagegen von einem „Attentatsversuch“.
Solana hatte gesagt, er erwarte, daß der Luftkrieg der Nato gegen Jugoslawien erfolgreich sein werde. Der Einsatz von Bodentruppen wird nach seinen Worten auf dem Jubiläumsgipfel der Allianz am Wochenende zumindest offiziell kein Thema sein. „Die Strategie der Nato hat sich nicht geändert“, erklärte Solana gestern in Brüssel. „Die Frage der Bodentruppen wird nicht debattiert. Auf dem Gipfel wird es keine Entscheidung geben.“
Jugoslawiens Außenminister Zivadin Jovanović warf im taz-Interview der Nato vor, ihr gehe es „einzig und allein um die Stationierung von Nato-Truppen im strategisch wichtigen Kosovo“. Jugoslawien, so Jovanović, habe „keine Alternative, wir verteidigen unsere Souveränität und Integrität, unsere Freiheit“. Niemand habe soviel Geld, um mit Waffen „dieses Land bezwingen zu können“, sagte er.
Bislang haben sich die meisten Nato- Mitgliedsländer gegen den Einsatz von Bodentruppen ausgesprochen. Großbritannien und Frankreich jedoch drängen laut Washington Post die USA, den Einsatz von Bodentruppen in Jugoslawien ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Für den britischen Premier Tony Blair sei dieser Schritt die einzige glaubwürdige Möglichkeit der Allianz, ihre Ziele innerhalb eines akzeptablen Zeitrahmens zu erreichen.
Tony Blair und Bill Clinton erklärten nach einem Treffen, die Luftangriffe der Nato seien erfolgreich. Britische Zeitungen hatten zuvor berichtet, Blair wolle sich dafür einsetzen, die Luftangriffe auf Jugoslawien noch zu verstärken. Zudem wolle er den US-Präsidenten davon überzeugen, daß die jugoslawische Armee inzwischen so sehr geschwächt sei, daß ein Einsatz von Nato-Bodentruppen die Allianz nicht in einen langwierigen Landkrieg verwickeln werde.
Die Bundesregierung hält an ihrer Ablehnung von Bodentruppen fest. Das erklärte Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch in Anschluß an eine rot-grüne Koalitionsrunde am Mittwoch abend in Bonn.
Nach Informationen des russischen Generalstabs setzt die Nato bereits jetzt kleine Spezialeinheiten im Kosovo ein. Es gebe Hinweise dafür, daß Aufklärungs- und Sabotagetrupps in das südjugoslawische Krisengebiet eingedrungen seien, meldete die Nachrichtenagentur Interfax gestern unter Berufung auf Quellen im Generalstab. Damit habe das westliche Bündnis „faktisch eine Bodenoperation eingeleitet“, sagte ein namentlich nicht genannter Sprecher. Die Nato-Einheiten würden von Mitgliedern der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK begleitet, die von Nato-Experten auf ihre Aufgaben vorbereitet worden seien.
Die norwegische Regierung hat sich erstmals kritisch über Nato-Bombenangriffe auf zivile Ziele in Jugoslawien geäußert. Staatssekretärin Aaslaug Haga aus der Kanzlei von Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik sagte gestern, ihr Land habe der Allianz keine Vollmacht zur Bombardierung ziviler Objekte gegeben. Unter anderem der Angriff auf ein Hochhaus mit dem Hauptquartier der Sozialistischen Partei von Präsident Slobodan Milošević sei im „Grenzbereich“ zwischen militärischen und zivilen Zielen durchgeführt worden.
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