: Wo die Göttin mit Obszönitäten blitzt – Der Briefwechsel zwischen Hanna Mittelstädt und Anna Rheinsberg
Den Entschluß zu einem Briefwechsel faßten Hanna und Anna vor über zwei Jahren. Nicht, daß sie sich besonders gut gekannt hätten, nein, vielmehr ging es um eine Art Standortbestimmung. Hanna, fand Anna, spiele als Verlegerin, aber auch privat, zu sehr die Rolle der fürsorglichen Vermittlerin. Lieber schlichten als richten, dieser rollenspezifischen Passivität auf den Grund zu gehen war eines ihrer Anliegen.
Wer jetzt aber eine fundamentalfeministische Abhandlung befürchtete, brächte sich um ein großes Lesevergnügen. Was sich die Mitbegründerin des Nautilus-Verlages Hanna Mittelstädt und die in Marburg lebende Schriftstellerin Anna Rheinsberg zu sagen haben, reicht vom lästigen Bürokratenalltag bis hin zu Autorenkritiken und Liebesbeziehungen. Ganz nebenbei bekommen wir die Geschichte des Nautilus-Verlages erzählt, weshalb der Briefwechsel auch so eine Art selbstgemachtes Jubiläumsgeschenk ist, und verfolgen das Lektorat einer Che-Guevarra-Biographie und die Entstehung des Romanes Lila.
Von Anfang an waren diese Briefe zur Veröffentlichung bestimmt, dennoch überraschen die Autorinnen mit ihrem schnörkellosen und intimen Tonfall, ganz gleich, ob es um die Freunde Attila und Uriel oder um einen soeben gelesenen Text geht: „Anbei etwas von Chotjewitz aus dem Freitag. Er ist ein bißchen schlampig, übertrifft Droste, der nur pubertär ist, bei weitem.“ Die Hahn ist „mit der Mayröcker natürlich nicht zu vergleichen. Eine Heidenreich der Lyrik.“
Besondere Aufmerksamkeit verlangen die sanften Veränderungen. Anfangs schreibt Anna noch schroff und provokant: „Was ist romantisch? Die Göttin im blanken Männerarsch blitzen sehen.“ Oder: „Du kannst dir die Kerle ganz einfach vom Leib halten, indem du die Hure mimst. Männer fürchten laute Obszönitäten aus dem Mund einer Frau.“ Demgegenüber wirkt Hanna fast zaghaft: „Die Rolle der Hure liegt mir nicht. Ich nehme mein Geschlecht eher zurück, als damit zu provozieren.“
Aus Abtasten und Ausprobieren entsteht bald ein inniges Vertrauen voller ironischer Wendungen. Bis ihre Briefe mit „Meine Kleene“ beginnen und mit „Mach's gut, Süße“ enden. Wer geglaubt hat, daß der Brief als Gattung tot sei, der wird hier eines Besseren belehrt. Joachim Dicks
„Liebe Hanna, Deine Anna – Briefe über Literatur und Liebe“, Edition Nautilus, Hamburg 1999, 29,80 Mark
Lesung am 28.4. 19.30 Uhr, Heinrich-Heine-Buchhandlung, Schlüterstr. 1, am 29.4. im Lola, Lohbrüggerstr. 8, um 20 Uhr.
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