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Käpt'n Multimediabär

Vom Puzzlefabrikanten zum Großkonzern à la Disney: Nun geht der Otto Maier Verlag/Ravensburger an die Börse  ■  Von Heike Spannagel

Durch Ravensburg fährt die Schwäbsche Eisenbahn hindurch. Endstation ist Meckenbeuren. Quer über den Bahnsteig blickt Käpt'n Blaubär treuherzig von einer Plakatwand. „Komm ins größte Spielzimmer der Welt!“ ruft er.

Der plüschblaue Bärenopa ist der Star der Familie Ravensburger. Sonntags spinnt er Seemannsgarn in der „Sendung mit der Maus“. Unter der Woche lockt er täglich bis zu 5.000 Kinder und Eltern in das Ravensburger Spieleland bei Meckenbeuren, zwölf Kilometer vom Bodensee entfernt. Im April 1998 eröffnet, ist der interaktive Freizeitpark das jüngste Aushängeschild der Unternehmensgruppe Ravensburger.

Mit dem Namen und dem blauen Dreieck rechts unten auf der Puzzleschachtel sind wir groß geworden. Und mit Memory natürlich, jenem Gedächtnisspiel, in dem wir unsere Eltern immer haushoch besiegten. In diesem Jahr wird Memory 40 Jahre alt. Wir gehören inzwischen zu den Verlierern und haben herausgefunden, daß sich hinter dem blauen Dreieck weit mehr als Spiel und Spaß mit Niveau verbirgt: Ravensburger ist ein global agierender Multimediakonzern mit einem Jahresumsatz von 578 Millionen Mark und 2.000 Mitarbeitern.

Zwar fährt drei Viertel des Umsatzes immer noch der Spieleverlag ein. Was aber kaum jemand weiß: Aus dem 50.000-Einwohner-Städtchen in Oberschwaben kommen neben pädagogisch wertvollen Kinderbüchern und Spiele-Klassikern längst auch Zeichentrickfilme, Familienserien und Spielshows fürs Fernsehen in aller Welt. So hat sich Käpt'n Blaubär, der von Walter Moers kreierte Bilderbuchheld, zum Multimediabär gemausert, der nicht nur als Zeichentrick- und Plüschfigur im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auftritt. Ravensburger vertreibt auch Blaubär-Videos und CD-ROMs, zu kaufen gibt's Blaubärwärmflaschen, Kindersitze, Mützen und alles was das konsumfreudige Kinderherz sonst noch begehrt. Merchandising heißt das Zauberwort, mit dem Mediengiganten wie Disney längst einen erklecklichen Anteil ihres Umsatzes machen. Die Vermarktung von Filmfiguren in Vergnügungsparks und Kinderzimmern bringt Milliarden ein.

Am Horizont sind an diesem naßkalten Apriltag in Meckenbeuren schneebedeckte Alpengipfel zu sehen und meterhohe Spielfiguren, die bunt zwischen Obstbäumen hervorragen – der Eingang zum Ravensburger Spieleland.

„Dieses Jahr wollen wir 400.000 Besucher, das ist realistisch“, sagt Simone Werner. Die junge Frau ist verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit des Freizeitparks und kann sich keinen schöneren Job vorstellen: „Hier ist man ein wertvoller Mitarbeiter“, sagt sie. Bei Ravensburger sei das Betriebsklima offen und kommunikativ.

Von ihrer „Philosophie“ sprechen die Ravensburger-Mitarbeiter gern. „Ernst und Scherz aufs glücklichste vereinen“, wollte schon der Buchhändler Otto Robert Maier als er im Jahre 1883 den Bücher- und Spieleverlag gründete. Diese Maxime soll bis zum heutigen Tage gelten, obschon es zuweilen nicht gerade leichtfällt, ökonomische und pädagogische Interessen unter einen Hut zu bringen.

Bücher und Brettspiele sind out. Um sich auf dem Markt zu behaupten, mußte sich die Firma Ravensburger in den vergangenen zwanzig Jahren den neuen Medien öffnen. Auf dem Betriebsgelände im Industriegebiet südlich des mittelalterlichen Stadtkerns von Ravensburg spiegelt sich der Brükkenschlag vom traditionsreichen Buch- und Spieleverlag zum modernen Medienkonzern wider: Im alten Verlagsgebäude, einem Betonklotz aus den frühen 70er Jahren, ist nur noch der Buchverlag untergebracht. Die eckige Glas-und Stahlarchitektur des Anfang der 90er eröffneten vierstöckigen Redaktionsgebäudes wirkt dagegen wie der Schwan neben dem häßlichen Entlein. Hier residieren die jüngsten Ravensburger-Töchter: Die Interactive Media, der Freizeit- und Promotion-Service, das Spieleland und die Ravensburger Film+TV (RTV).

Im ersten Stock sitzt RTV-Geschäftsführer Peter Hille in seinem Büro. Das kommt immer seltener vor, jettet der Fernsehmann doch fortlaufend um die Welt, um Verträge für Koproduktionen auszuhandeln, Filmrechte einzukaufen und neue Kunden zu akquirieren. „Der Markt wächst schnell und ist von Konzentrationsbewegungen bestimmt“, sagt Hille, „damit wir uns da behaupten können, müssen wir uns bemerkbar machen“.

Um international konkurrenzfähig zu bleiben, ohne dabei dem Mutterunternehmen auf der Tasche zu liegen, faßte man im vergangenen Herbst den Beschluß, sich Kapital an der Börse zu verschaffen. Mit gutem Beispiel war 1997 die Münchner Firma EM-TV vorangegangen: Diese vergoldet an der Börse die Merchandising-Rechte von Figuren wie Ernie & Bert und Tabaluga.

Für die Ravensburger ist die Zulassung an der Börse bislang nicht erfolgt. Fest steht allein, daß der Börsengang noch vor Ablauf des zweiten Quartals stattfinden wird. Auf einer Pressekonferenz verkündeten die Geschäftsführer gestern den Namen der künftigen Aktiengesellschaft: RTV Family Entertainment AG. Unter Führung der Deutschen Bank wolle man etwa 2,5 Millionen Stammaktien plazieren.

„Für uns ist das eine ungeheuer spannende Sache“, sagt Peter Hille, der vor nahezu 28 Jahren als Redakteur beim Ravensburger Buchverlag einstieg. Als Anfang der achtziger Jahre das Geschäft mit den neuen Medien und Privatsendern aufkam, verschrieb er sich dem Fernsehen („Beim ersten Film habe ich noch die Kamera gehalten“) und wurde bei der RTV-Gründung 1985 Geschäftsführer. Auf den ersten Blick ist Peter Hille ein unscheinbarer 56jähriger, ein „Graubart“ wie er selbst sagt. Kommt man aber auf seine Fernsehproduktionen zu sprechen, erwacht das Kind im Manne. Er erzählt, daß es eigentlich fünf Musketiere gegeben habe, nur sei „Albert, der fünfte Musketier“ wegen seiner schüchternen Art nie aufgefallen. Auch weiß er zu berichten, daß die Amerikaner „Käpt‘n Blaubär“ nicht mögen, weil Seemannsgarn in den USA amoralisch sei.

Rund 300 Programmstunden produziert RTV im Jahr, 75 Prozent davon sind Zeichentrickfilme – die seien international besser einsetzbar als Realfilme, weiß Peter Hille. Ein typisches Beispiel ist die aktuelle Produktion „Fix und Foxi“, die im kommenden Jahr in der ARD anlaufen soll und bereits in 25 Länder verkauft wurde: Die 26 halbstündigen Folgen herzustellen, kostet an die 13 Millionen Mark und dauert etwa 18 Monate. Produziert wird auf Englisch in den USA, Kanada, Taiwan, China und in verschiedenen europäischen Ländern. Für die Koordination der Koproduktion ist die RTV-Zentrale in Mainz zuständig.

Was wird sich durch den Börsengang bei RTV ändern? „Wir werden wachsen“, sagt Peter Hille. Noch in diesem Jahr wolle man den Mitarbeiterstamm von 22 auf 30 erhöhen. Nach dem Motto „Das einzig Positive an der Filmerei sind die Negative“ soll die Vermarktung von Film- und TV-Rechten intensiviert werden. Ebenso vergrößern will man den Merchandising-Bereich, der bislang zehn Prozent des Umsatzes ausmachte.

Arbeitete die RTV bislang sehr verlagsorientiert, wird sie fürderhin als Aktiengesellschaft eigenständiger sein. Zwar wird die Unternehmensgruppe Ravensburger als zukünftiger Gesellschafter weiterhin ein Wörtchen in der Unternehmenspolitik mitzureden haben. Aber dem Shareholder-Value zuliebe wird man auch die Interessen der anderen Aktionäre berücksichtigen müssen. „RTV ist ein Profitcenter wie jedes Unternehmen“, sagt Peter Hille. Der Geschäftsführer wäre aber kein „Ravensburger“, würde er nicht auch zugleich hinzugefügt wissen wollen, daß langfristig natürlich nur Qualität bestand habe.

Im Ravensburger Spieleland dreht die Spielzeugversion der „Schwäbschen Eisenbahn“ derweil die letzte Runde an diesem Tag. Etwa 500 Besucher lautet die Bilanz – trotz Regenwetter. „Wenn das so weitergeht, gehen wir in ein paar Jahren auch an die Börse“, sagt Simone Werner. Bis vor kurzem hätte sie dafür noch auf dem Spielbrett trainieren können.

Jetzt wurde das Ravensburger Börsenspiel, das mit dem blauen Dreieck, aus dem Programm genommen. Es war nicht mehr zeitgemäß.

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