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Familien-Erholung im Gewerbegebiet

170 albanische Flüchtlinge aus dem Kosovo sind gestern nach Billbrook umgezogen. In tristen Wohnblocks leben dort schon 750 Flüchtlinge zwischen Lagerhallen  ■ Von Elke Spanner

Pausenlos brettern Autos und Lastwagen vorbei. Hafenanlagen und Autobahnen, eine Lagerhalle an der nächsten. Ein Parkplatz, vollgestellt. Vertriebsbüros für „Autoteile, Schrauben, Werkzeuge“. Ein Reifendienst, Speditionen, wieder Lagerhallen. Unerwartet tauchen dahinter dunkelbraune Wohnblocks auf. Der fade Baustil fügt sich stimmig in die ungastliche Gegend ein. Lediglich die weißen Balkons deuten an, daß diese Häuser nicht für Handelsgüter vorgesehen sind, sondern für Menschen.

Für Hunderte. 750 Flüchtlinge leben bereits hier in Billbrook, nicht selten zu viert in einem Raum. Die Balkone müssen als Zimmer mitgenutzt werden. Fahrräder sind darauf geparkt, Getränkekisten gelagert, Spielsachen übereinander gestapelt. Frisch renoviert ist nur der Block ganz links. Am gestrigen Nachmittag sind rund 170 der Kosovo-Albaner, die Hamburg seit dem Beginn der Nato-Bombardements aufgenommen hat, hier eingezogen.

Die Innenfläche zwischen den Häusern muß als Spielplatz für die Kinder dienen, als Bolzplatz für die Jugendlichen und Treffpunkt der Erwachsenen. Am Zugang steht eine Gruppe Männer, Frauen und Kinder. Ein Mädchen trägt einen langen weißen Rock, der an ein Brautkleid erinnert. Die Männer haben Anzüge an, die mal schwarz waren und jetzt zu einem schmuddeligen grau ausgeblichen sind. Aus Jugoslawien stammt diese Gruppe Roma, Dragan ist ihr Wortführer. Daß es mit den AlbanerInnen Probleme geben wird, glaubt er eigentlich nicht, „aber ich weiß es nicht, vielleicht gibt es auch eine Schießerei“. Seine Frau findet, „das sind doch auch nur Menschen“. Sie will noch etwas sagen. Er fährt ihr herrisch über den Mund. Plötzlich versteht sie kein Deutsch mehr.

Quer durch die Wohnanlage zieht sich eine Trennlinie. Eine Grenze, wie sie auch im Krieg in Jugoslawien besteht. Hier jedoch macht sie sich nicht an der ethnischen Zugehörigkeit fest. Hier geht es um die Lebensformen, die unterschiedlich sind und durch die räumliche Enge aufeinanderprallen. „Ich liebe meine Musik, du deine“, sagt Dragan dazu.

Senada, Albanerin aus dem Kosovo, schimpft: „Die Zigeuner hören die ganze Nacht laute Musik.“ Und mit „bei denen stinkt es“ bringt der elfjährige Emir seine Abneigung auf den Punkt. Sein Freund Berisha mutmaßt, daß einige seiner Landsleute „vielleicht“ Probleme hier haben werden. Oft werde etwas abgebrannt,sagt er, mitten auf dem Platz, einfach so, „aus Bock“. Und vielleicht werden „die Neuen“ sich erschrecken, wenn sie das Feuer sehen, denkt er laut. „Die kommen doch direkt aus dem Krieg.“

Von ihren Erlebnissen „erholen“ sollen sich die Flüchtlinge aus dem Kosovo in Hamburg, hatte Sozialsenatorin Karin Roth (SPD) erzählt, als die ersten vor rund drei Wochen in die Hansestadt kamen. Die bereits hier in Billbrook leben, sollen sich schon seit Jahren in dieser Tristesse „erholen“, etliche Familien seit fünf, sechs oder sieben Jahren. Claudia Eggert, Sprecherin des Bezirksamtes Mitte, das die Anlage betreibt, findet sie „familiengeeignet“.

Senada lebt seit acht Monaten hier. Sie findet das nicht. Mit ihrem Sohn bewohnt sie einen Raum in einer Zwei-Zimmer-Wohnung, im anderen ist eine dreiköpfige Familie untergebracht. Der Weg dorthin führt über ein Treppenhaus, in dem die Kacheln von den Wänden abgesprungen sind. Vorbei an Etagentüren, durch die man ohne sie zu öffnen hindurchgehen kann – die Scheiben darin fehlen. Die Decke im Bad ist angeschimmelt. Die Küche zu klein, um sich zum Essen hineinzusetzen. Auf 15 Quadratmetern müssen Senada und ihr Sohn essen, schlafen, spielen, Wäsche stapeln und trocknen, Freunde empfangen und die langen Tage verbringen. Arbeit hat Senada nicht.

Einen Lebensmittelladen gibt es im Industriegebiet Billbrook nicht. Alles muß im gut drei Kilometer entfernten Billstedt-Center jenseits der B5 zwischen City und Bergedorf eingekauft werden. Dorthin fährt ein Bus. Einmal pro Stunde.

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