piwik no script img

Das Sandmädchen ruft

■  Weiches, sanftes Dahingleiten: Eine Ausstellung im Züricher Museum für Gestaltung beschäftigt sich mit der Verschweizerung der Autobahn und dem Blick auf die Landschaft

Die Genfer Ringautobahn ist vierzehn Kilometer lang und gilt als eine der modernsten Straßen der Welt. Hochdrucklampen, die ständig dem Sonnenlicht angepaßt werden, sorgen für eine gleichmäßige Beleuchtung. Es gibt 90 Notrufsäulen, 60 Kameras und neun Radarfallen; Lkws werden unbemerkt gewogen und später aufs Kilo genau abkassiert. Fast die Hälfte der Autobahn versteckt sich hinter künstlich aufgeworfenen Hügeln, die Ein- und Ausfahrten sind lärmgedämpft. Alles läuft am Schnürchen. Alles vorbildlich.

Das Genfer Modell ist für die Schweiz beispielhaft: Von ferne ruft der Berg, zwischen Alpenpanorama und Seenidylle herrscht Ordnung, Effizienz und Automation. Ist die Autobahn vielleicht auch ein Ort, an dem sich nationale Seelenlagen offenbaren? Eine gemeinsame Ausstellung des Ethnografischen Museums in Genf mit dem Museum für Gestaltung in Zürich über die Autobahn in der Schweiz ermöglicht es derzeit, diesen Gedanken zu vertiefen.

Ziemlich spät haben die Eidgenossen damit begonnen, ihre alten Saumpfade aufzugeben und kreuzungsfreie Nur-Autostraßen in ihre pittoresken Landschaften zu furchen. Erst 1955 weihten sie das erste kurze Teilstück bei Luzern ein. Zwar gab es schon in den 30er Jahren Pläne, das deutsche Projekt einer Autobahn Hamburg –Frankfurt – Basel in der Schweiz weiterzuführen. Doch der Plan wurde zu den Akten gelegt, als die Deutschen die Anbindung Österreichs vorzogen. Konzipiert wurde die Schweizer Autobahn, so der Ausstellungstenor, als Parkway – eine amerikanische Erfindung, mit der der Stadtmensch auf lustvolle Weise die Natur erfahren sollte. „Weich und sanft gleitet man dahin und bedenkt die reizende Landschaft“, hieß es schon zur Eröffnung der ersten Schweizer Autobahn: die Fahrt als ästhetisches Vergnügen, ein Gedanke, den auch die deutschen Autobahnbauer einst pflegten. Künstliche Hügel aber, wie sie damals Reichslandschaftsanwalt Alwin Seifert aufwerfen ließ, waren in der Schweiz nicht nötig. Dort führen die Straßen von imposanten Bergen zu imposanten Bergen.

Doch kurvenreich war der Weg schon. Ein Videotape zeigt den 15jährigen Widerstand der Gemeinde Faido gegen die Linienführung der N2. Plakate bezeugen die Auseinandersetzung von Befürwortern und Gegnern: Auf einem verheißt die Ikone der aufgehenden Sonne Fortschritt und Wohlstand, ein anderes grimassiert die Fratze eines landschaftszerstörenden Molochs herbei. Noch mehr als in Deutschland stand in der Schweiz der finanzielle Aspekt im Vordergrund: Einmal wurde eine Autobahn abgelehnt, weil man nicht selbst, sondern erst nachfolgende Generationen davon profitieren konnten. Durchgesetzt hat sich die Feilscherei allerdings nicht. Heute ist es vollbracht, das „größte Schweizer Bauwerk der Nachkriegszeit“, wie die Ausstellungsmacher betonen.

Neben Bautechnik, Ökonomie und Ökologie thematisiert die Ausstellung vor allem den Wandel von Landschaft und ihrer Wahrnehmung. So laufen neben einem 1:1 rekonstruierten Brückenkopf auf einem „Rastplatz“ Spiel- und Dokumentarfilme von Studierenden der Hochschule für Gestaltung, die die Autobahn als sozial kommunikativen Raum verstehen. Zu sehen sind Einsätze der Autobahnpolizei, Truckerstopp, Tunnelbauer und eine Autobahnkirche. Allerdings nichts vom Mythos der Straße, dafür ist die Schweiz wohl wirklich zu klein. John Updikes Harry Angstrom würde sich langweilen. Keine Meldungen über einen „Autobahnkrieg“, den der Filmemacher Thomas Schadt auf deutschen Straßen beobachtete – dafür ein Video über ein Sandmädchen, das die Fahrer gegen die Leitplanken lotst. Nichts über Verkehrschaos, Geschwindigkeitsrausch und rasenden Stillstand, statt dessen ein klaustrophobischer Film über ein Familiendrama im Kleinwagen.

Einen Großteil der Ausstellung nehmen die Fotos des Westschweizer Fotografen Nicolas Faure ein. Sie zeigen die Landnahme, die einen neuen Kulturraum generiert. Ein Raum, der sich tief in die Natur eingegraben hat und erfolgreich mit der Alpen-Tektonik konkurriert: Die Savoyer Alpen des Ferdinand Hodler werden zur Kulisse der A9 zwischen Vevey und Lausanne. Helvetia erklimmt die Moderne. In einem Dunkelraum der Ausstellung verdeutlicht ein Modell mit 600 kleinen Lämpchen die stetige Ausbreitung: Von Parkways versiegelt ist heute eine Fläche von der Größe des Züricher Sees. Damit verfügt die Schweiz immerhin über das dichteste Autobahnnetz der Welt. Die Architektur der Straßen indessen schwankt dabei stets zwischen selbstbewußter Ästhetik und aufwendigem Versteckspiel. Bernard Crettaz vom Ethnografischen Museum in Genf hat das die Verschweizerung der Autobahn genannt. Die „prätentiöse Bescheidenheit“ des Schweizer Designs der 50er und 60er Jahre war dafür wohl prägend. Kaum würde es Schweizer Baumeistern einfallen, ein Teilstück „Autobahn der Titanen“ zu nennen, wie es einige Kilometer hinter Genf die Franzosen getan haben. Andreas Bauer‚/B‘ Die Schweizer Autobahn, bis 9. 5., Museum für Gestaltung, Zürich. Katalog: 54 SFR. Außerdem ist ein Fotoband mit Bildern von Nicolas Faure erschienen (58 SFR)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen