: „Mein Ziel ist die Tonne“
Seit einem halben Jahr arbeitet Walter F., 40, in einem nur vier Quadratmeter kleinen fensterlosen Kellerraum an der Verwirklichung seines Traumes ■ Von Markus Scholz (Fotos) und Eberhard Spohd (Interview)
taz: Walter, warum sitzt Du jeden Abend in diesem Keller, um Kupferdraht abzuisolieren und zu sammeln?
Walter: Ich mache das seit ungefähr einem halben Jahr. Tagsüber arbeite ich bei einem Schnäppchengroßhändler und packe Waren aus. Abends komme ich dann hierher, esse und ziehe mich dann in meinen kleinen Raum zurück. Hier habe ich alles was ich brauche: mein Werkzeug, meine Kartons zum sammeln und natürlich die Kupferkabel.
Woher stammt denn der Rohstoff für Deine Arbeit?
Das meiste sammle ich von Baustellen. Wenn dort Kabel verlegt werden, bleibt viel Abfall übrig. Ich frage dann, ob ich den haben kann, miste die Container aus und nehme die Kabelreste mit.
Und wieviel hast Du in dem halben Jahr schon geschafft?
Ich habe meine Schätze neulich gewogen. Insgesamt waren das 110 Kilogramm an Kupfer, von Aluminium oder verzinkten Kabeln einmal abgesehen. Mein Ziel ist die Tonne. Wenn ich 1000 Kilo zusammenhabe, will ich das Kupfer verkaufen.
Wenn Du jeden Abend fünf Stunden abisolierst und sammelst, wirst Du für die Tonne fünf Jahre brauchen. Ist das nicht ein mühseliger Weg, um Geld zu verdienen?
Es geht mir nicht nur um das Geld. Ich kann mich bei der Arbeit auch wunderbar entspannen. Ich habe ein Zimmer auf der Reeperbahn, das mir das Sozialamt bezahlt. Dort wohne ich mit einem unerträglichen Typ zusammen, den kann ich nicht leiden. Außerdem scheint mir immer die Leuchtreklame der Spielbank ins Zimmer. Darum kann ich nicht so gut schlafen. Da sitze ich lieber hier und arbeite.
Wann bist Du nach Hamburg gekommen?
Das ist jetzt 1 1/2 Jahre her. Damals kam ich aus meiner Heimatstadt Buxtehude und habe zunächst auf der Straße gelebt. Gleich in der ersten Nacht sind mir alle meine Papiere gestohlen worden, als ich schlief. Ich bin zwar wach geworden, und dem, der sie mir geklaut hat, fehlen jetzt ein paar Zähne. Aber die Buckelei, mir alles wieder zu besorgen möchte ich nicht noch einmal durchmachen.
Warum bist Du denn aus Buxtehude fortgegangen?
Weil es da keine Arbeit gab. Jeden Tag habe ich mit dem Fahrrad die Gegend abgeklappert um einen Job zu finden. Aber nur als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft war da etwas zu bekommen, Kartoffeln ernten und Kohl.
Ziemlich anstrengend ...
Nur im ersten Jahr. Im zweiten habe ich wieder beim gleichen Bauern angeheuert und durfte mit dem Trecker fahren. Das sind so riesige Felder, da kann man nichts kaputtmachen außer Kohlköpfe. Wir haben zwei Schichten gefahren. Ich habe auf den Äckern das Gut eingesammelt, und wenn der Bauer kam, haben wir die Trecker getauscht: Er zurück zum Abladen, ich weiter mit dem anderen Diesel. Aber nur ein paar Wochen arbeiten im Jahr ist mir zuwenig.
Wie lange arbeitest Du als Packer?
Nicht mehr lange. Das war eine ABM-Stelle, und die wollten mich nicht übernehmen. Aber demnächst fange ich bei der DEKRA an und mache den Gabelstaplerschein.
Dann kommst Du gar nicht mehr zu Deinen Kupferkabeln.
Doch, das mache ich weiterhin abends. Wie gesagt mein Ziel ist die Tonne. Bei den derzeitigen Preisen gibt das um die 3000 Mark.
Und was machst Du damit?
Ich träume schon lange von einer großen Reise. Die würde ich dann machen. Am liebsten wäre mir, ich könnte eine Kreuzfahrt davon machen. Aber dazu wird es wohl nicht reichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen