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Deprimierend tolle Fatalistenschau

■ Städtische Galerie Delmenhorst ist einer von fünf Orten der 1. Biennale für zeitgenössische Kunst in Niedersachsen

Die Welt von Hans Karl ist bunt wie ein IKEA-Katalog. Die Stühle strahlen kräftig blau, die Teppiche liegen bunt kariert. Selbst die menschlichen Strichfrauchen und -männchen dieses Kosmos leuchten grün, gelb oder im kunterbunten Ringelpullover um die Wette. Doch von Heiterkeit keine Spur. Leere Augenhöhlen starren ins Nichts, Hände strecken sich vergeblich, nackte Genitalien künden fleischfarben von ihren unerfüllten Sehnsüchten. Alle suchen, niemand findet. Nicht einmal die stille Hoffnung will aufkeimen, das Glück dieser Welt habe sich vor all diesen hemmungslos Begehrenden nur verschreckt hinter einer der vielen bunten Wände verborgen.

Hans Karls Arbeiten sind toll. Aller poppigen Farben zum trotz ist man innerhalb kürzester Zeit völlig deprimiert und zudem fest davon überzeugt, daß Männer und Frauen nicht füreinander gedacht sind und IKEA-Welten da auch keine Abhilfe schaffen können. Dennoch glaubt man nach einem Rundgang durch die rundum gelungene Ausstellung „Lokalzeit/Local Time“, daß Barbara Alms, Leiterin der Städtischen Galerie Delmenhorst, die Bilder des 64jährigen als Geste der Hoffnung mit Bedacht in den Eingangsbereich ihrer Galerie plaziert hat. Denn die Arbeiten der sieben anderen KünstlerInnen neben Karl sind nicht weniger skeptisch, gönnen dem Auge zumeist aber nicht einmmal die kurze Freude des Anblicks schöner Farben.

Ein FatalistInnentreffen mitten in Delmenhorst? Zunächst einmal ein Treffen glücklich Auserwählter. Denn eine international besetzte Jury hat die in Delmenhorst und zeitgleich in vier weiteren Ausstellungshäusern präsentierten 56 KünstlerInnen aus dreihundert BewerberInnen herausgefiltert und zum Besten erklärt, was Niedersachsens zeitgenössische Kunstszene momentan zu bieten hat. Diese erste niedersächsische Biennale soll, so die Hoffnung der JurorInnen, den Ruf der regionalen Kunst jenseits der Landesgrenzen mehren und den KünstlerInnen zu einem größeren Erfolg auf dem vom Rheinland und Süddeutschland dominierten Kunstmarkt verhelfen.

Die acht KünstlerInnen allerdings, die Barbara Alms in ihrer Städtischen Galerie vereint hat, zeichnen sich vor allem durch ihren Nonkonformismus aus, durch ihr ausgeprägtes Talent, sich um Marktgängigkeit wenig zu scheren und statt dessen mit einer unübersehbaren Besessenheit ihren künstlerischen Projekten zu widmen.

Eine kleine Auswahl: Ob Hans-Albert Walter, der seit Jahrzehnten nichts anderes tut, als die Zahlen von 0 bis 9 in der immergleichen Type auf schwarzem oder rotem Grund zu ordnen oder Alfred Donath, der Räume mit Insektenzeichnungen, Barbiepuppenköpfen, Haargeflechten und tausend kleinen Dingen in kitschig-anrührende Tempel verwandelt – immer pendeln die Arbeiten zwischen Poesie und Wahn, zwischen imposanter Hingabe und beängstigend-verbohrter Akribie.

Auf den ersten Blick weit weniger spektakulär wirkt da das Werk Astrid Brandts. Detailgesättigte Stilleben und menschenleere Interieurs in schwarz-weiß, die zunächst vor allem dadurch beeindrucken, daß sie wie Fotografien wirken und sich erst bei näherem Hinsehen als Bleistiftzeichnungen entpuppen. Doch man ahnt, welche enorme, wahnwitzige Selbstdisziplin diesen Arbeiten zugrunde liegt. Und man spürt, daß die virtuose Zeichentechnik und die ästhetisch kühle, ausgeklügelte Bildkomposition nicht Selbstzweck sind, sondern einem empfindsamen, fast mitleidigem Blick entspringen, der noch in den winzigsten Details einer Wohnungseinrichtung eine beklemmende soziale Kälte entdecken kann.

Dieter Glasmachers skurrile, ebenfalls über Jahre gewachsenen Rauminstallationen hingegen ist ihre Parteinahme für die Opfer jener Kälte deutlich anzusehen. Ob in der Lenzenhütte, der Behausung eines fiktiven Waldbewohners, oder der Devotionaliensammlung eines Heintje-Fanclubs – die Symphatie für jene, die sich jenseits des gesellschaftlich als normal akzeptierten Verhaltens bewegen, ist in diesem Werk omnipräsent. zott

„Lokalzeit/Local Time“ ist noch bis zum 24.5. zu sehen. Infos, auch zu den parallel laufenden Ausstellungen im Schloß Agathenburg, den Kunstvereinen Hannover, Gifthorn und Lingen gibt es unter 04221/14 13 2 und sind dem Ausstellungskatalog zu entnehmen

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