Überraschung: Es wird weitergeschmuddelt

Weiterhin schlagen alle auf die Daily Talkshows ein. Weil's so schön einfach ist. Nun zeigen erste Sichtungen des „Schmuddeltalk“, daß sich letztlich wenig beanstanden und keine Lösung finden läßt    ■ Von Ania Mauruschat

Gleich nach den österlichen Spielfilmexzessen ist es das beliebteste Ritual der medialen Gesellschaft: die Geißelung der „Schmuddel“-Talkshows. Alljährlich rufen die Landesmedienanstalten zur großen Hetzjagd auf die Sündenböcke Meiser, Arabella & Co. Letztes Jahr hatten die Sendungen wegen ihrer exzessiven Behandlung des Themas Sex den Zorn auf sich gezogen und sämtliche Jugendschützer mobilisiert. Folgsam gelobten die Privatsender daraufhin Besserung, erstellten „Verhaltensgrundsätze zu Talkshows im Tagesprogramm“ und beauftragten ihre Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) damit, jegliches Nachmittagsgetalke ein Jahr lang zu überwachen.

Die Landesmedienanstalten taten sicherheitshalber das gleiche und veröffentlichten im März ihre ersten Erkenntnisse nach der Sichtung von 950 Sendungen. Heraus kam dabei unter anderem – Überraschung! –, daß die reuigen Sünder längst rückfällig geworden sind. Wurde nach einem Anflug von Anstand im November lediglich an acht Nachmittagen über Sex getalkt, waren es im Februar schon wieder 27 Sendungen, in denen dann, wie beispielsweise bei Hans Meiser, bereits der Titel ganz ungeniert „Du bist doch sexsüchtig – ich kann nicht mehr“ verkündete, als wäre nie was gewesen.

Die Jerry-Springerisierung wird immer salonfähiger

Noch schlimmer sei jedoch die Jerry-Springerisierung der deutschen Talklandschaft, befanden die Medienwächter. Was bei dem US-Moderator Springer Konzept und Sendungsauftrag ist – daß sich die Gäste als „Schlampe“ oder „Wichser“ titulieren, bevor sie aufeinander losgehen (so richtig, mit Blut und blauen Augen) –, werde auch hierzulande immer salonfähiger. Vor allem bei „Birte Karalus“ kultiviere RTL dieses Talk-Catchen, bei dem Menschen bloßgestellt und aufeinander losgelassen werden.

Seit der Veröffentlichung dieser ersten Studie schwillt der kulturpessimistische Bocksgesang wieder an. Keine Woche vergeht, in der nicht Politiker und sonstige Bedenkenträger diese „Abartigkeiten und Perversionen“ (Medienbeobachter der Kirchen) verteufeln. Vor allem „was bei Hans Meiser läuft, ist unter aller Sau“, empörte sich Ende März Klaus Kopka, der bayerische Medienratsvorsitzende. Anfang dieser Woche hat Kurt Beck, SPD-Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder, nachgelegt: „Das ist schon eine Zumutung, was man dort zu sehen bekommt.“ Fehlt nur noch Uli Wickert.

Alle schlagen auf die Talkshows ein. Weil's so schön einfach ist. Daß diese Menschen und ihre Probleme aber auch ohne das Talkshow-Forum der einst von den Politikern so sehr geförderten Privatsender da wären, darüber redet mal wieder niemand. Mit der vierten Änderung zum Rundfunkstaatsvertrag wollen die Politiker darum weiter an den Symptomen rumdoktorn und zum 1. April 2000 die rechtlichen Grundlagen dafür schaffen, daß anstößige Talkshows ins Abendprogramm verlegt werden können. Jugendschutzmäßig brächte das allerdings wenig, gukken Kinder doch am liebsten zur Primetime fern. Und da kriegen sie meist noch Heftigeres zu sehen als einen Talkgast, der in der „Meiser“-Folge „Großmaul trifft Gewitterhexe“ am 21. 1. 99 bekennt: „Ficken ist meine Religion.“

Freiwillige Selbstkontrolle statt Gummiaktionismus

Joachim von Gottberg, der Vorsitzende der FSF, der seine Untersuchungsergebnisse erst im Herbst veröffentlichen darf, kommt – nach seinerseits 1.100 Talksichtungen – im großen und ganzen zu den gleichen Ergebnissen: Gerade mal 38 Einzelfolgen nahm sich die FSF zur genaueren Prüfung vor. Er hält von dem „ 'Wir machen was‘-Aktionismus der Politiker“ gar nichts: „Auf rechtlichem Wege kommen Sie da nicht ran“, sagt von Gottberg, bei dem man im Gespräch den Eindruck gewinnen könnte, er sei vielleicht so etwas wie ein kleiner Privatsenderphilosoph: „Es hat ja keinen Sinn, wenn man eine Gummiformulierung durch eine neue Gummiformulierung ersetzt, sondern man muß fragen: Was verbirgt sich hinter dem Gummi?“

Da sich oft schwer vorhersagen lasse, was denn nun genau in einer Talkfolge passiert, könne man allenfalls bei der Themenwahl und auf freiwilliger Basis etwas erreichen. Mitte Mai trifft sich von Gottberg darum mal wieder mit den Verantwortlichen der Sender, um über ihre Entgleisungen zu reden.

Der Sisyphos des Privatfernsehens weiß aber auch: „Wenn sich der Schutzgedanke und kommerzielle Interessen widersprechen, ist die Quote stärker.“