: Selbst Erich fehlen Erklärungen
Anstatt den DFB-Fußballern moralischen Aufwind für die weitere EM-Qualifikation zu liefern, läßt das 0:1 gegen Schottland Furcht vor Moldawien grassieren ■ Aus Bremen Matti Lieske
Am Ende hatte selbst Erich Ribbeck Schwierigkeiten, dem 0:1 gegen Schottland am Mittwoch abend in Bremen positive Aspekte in Hinblick auf das EM-Qualifikationsspiel gegen Moldawien am 4. Juni in Leverkusen abzugewinnen. Das Positive sei, rang sich der Teamchef schließlich doch zur perspektivischen Erkenntnis durch, „daß wir jetzt erlebt haben, wie schwer es gegen die Moldawier wird“. Auch die würden sich „mit zehn Mann hinten reinstellen“, so wie es die Schotten getan hätten. Mit anderen Worten: Das deutsche Team muß das Spiel machen und ist damit, so Ribbeck, „in eine Rolle gedrängt, der wir im Moment noch nicht gewachsen sind“.
Das war dann auch schon das Ende aller Positivität – ziemlich mager für ein Spiel, das eigentlich den bei den Siegen in Nordirland und gegen Finnland herbeigespielten und -geredeten „Aufwärtstrend“ bestätigen und die Mannschaft auf künftige große Aufgaben vorbereiten sollte. Statt dessen gab es den – wie auch Teilzeitkapitän Lothar Matthäus einräumte – „eigentlich verdienten“ Sieg eines stark ersatzgeschwächten schottischen Teams, das solide, aber mitnichten großartig spielte. „It's so fucking easy“, sangen die erstaunten Fans der Gäste in der zweiten Halbzeit zur Melodie von „Guantanamera“, während sich die deutsche Mannschaft „Werder, Werder“-Rufe der Bremer Zuschauer anhören mußte. Bitterer geht's kaum. „Mission nicht erfüllt“, faßte der nach einer Stunde ausgewechselte Primärkapitän Oliver Bierhoff, der nahezu ohne Ballkontakt geblieben war, den mißratenen Abend kurz und schmerzhaft zusammen.
„Wir haben nicht das wahre deutsche Team gesehen“, verkündete der schottische Coach Craig Brown später wohlgemut, ein Irrtum, der verzeihlich ist. Schließlich hat der gute Mann selten Gelegenheit, die Auftritte der DFB-Elf zu begutachten. Browns Theorie, daß die Spieler zu sehr mit ihren Aufgaben in den Vereinen beschäftigt seien, um sich auf ein unwichtiges Freundschaftsspiel konzentrieren zu können, wurde jedenfalls einhellig zurückgewiesen. „Dazu sind wir viel zu arg Fußballer“, formulierte gediegen Lothar Matthäus. In Wirklichkeit war es die geballte Wahrheit des DFB-Fußballs, die sich in Bremen darbot, eines Fußballs, dessen „Probleme noch nicht beseitigt sind“, wie Günter Netzer scharfsichtig analysierte.
Und die Probleme sind vielfältig: schlechte Abstimmung in der Abwehr, mangelnde Durchsetzungsfähigkeit im direkten Duell mit dem Gegenspieler, ungenaues Paßspiel, jämmerliche Flanken, mangelnde Kreativität und vor allem die Unfähigkeit, über 90 Minuten Konzentration und Tempo aufrechtzuerhalten. Genau das ist aber nötig, damit das von Uli Stielike ausgeklügelte System funktioniert. „Natürlich müssen wir Lehren ziehen“, verkündete Erich Ribbeck, „aber so kurz nach dem Spiel ist schwer zu sagen, welche.“ Boshafte Beobachter konnten sich des Verdachts nicht erwehren, daß der Teamchef keine Zeit gehabt hatte, Stielike zu fragen, was schiefgelaufen war.
Begonnen hatte es gar nicht schlecht. Die Variante mit einem sehr offensiven Libero Matthäus, der im Wechsel mit anderen Abwehrspielern wie Strunz oder Wörns ins Mittelfeld vorrückte und sogar im gegnerischen Strafraum auftauchte, sorgte ebenso für Verwirrung bei den Schotten wie das Spiel mit den beiden Außenstürmern Heldt und Neuville. Ein brauchbares System mit dem bei derzeitiger Besetzung unbestreitbaren Vorteil, daß es wenig Kreativität erfordert. Man muß nur schnell und genau genug auf die Flügel spielen, schon wird es brenzlig für den Gegner. Das Problem bei drei Stürmern ist allerdings, daß der Strafraumspieler in der Mitte auf sich allein gestellt ist, vor allem, wenn anstelle des torgefährlichen Marco Bode ein kleiner Mann wie der emsige, aber ineffektive Neuling Horst Heldt Linksaußen spielt. Bierhoff und später Kirsten waren meist doppelgedeckt und bekamen kaum einen Ball.
Ein noch größeres Problem sind die Außenspieler hinter den Spitzen. Jörg Heinrich präsentierte erneut jene erlesene Sammlung hundsmiserabler Flanken, mit der er beim AC Florenz jede Woche Gabriel Batistuta zum Wahnsinn treibt, und Thomas Strunz fühlte sich auf der Position, die sonst Babbel einnimmt, offenbar verpflichtet, auch dessen Motorik zu imitieren. Bis der Bayern-Spieler seine bedächtigen, an ein südamerikanisches Faultier mit zwei Buchstaben gemahnenden Bewegungen vollendet und den Ball unter Kontrolle hatte, blieb ihm meist nur der Rückpaß zum Torwart. Außerdem war er leicht auszuspielen, und beim Gegentor, das über seine Seite zustandekam, trieb er sich weit entfernt vom Tatort herum.
Den Gegner so lange unter Druck setzen, bis er müde wird, lautete die von Ribbeck ausgegebene Devise. Müde wurden aber eher die Deutschen – und das bereits nach einer halben Stunde. Der Druck auf die Schotten, die nun munter kombinierten, ließ rapide nach, das Flügelspiel fand immer weniger statt, und im Mittelfeld fiel lediglich Matthäus durch konstruktive Aktionen auf. Stielikes System funktioniert aber nur bei hohem Tempo sowohl in der Offensive als auch in der Defensive, wenn getrödelt wird, fällt sofort auf, daß es der Mannschaft an echten Weltklassespielern auf den wichtigen Positionen gebricht.
Abhilfe könnte perspektivisch Michael Ballack vom 1. FC Kaiserslautern schaffen, der in der kurzen Zeit seines Einsatzes im Mittelfeld sofort die Bälle an sich zog, kaum einen Fehler machte, im schottischen Strafraum zweimal gefährlich zum Kopfball kam und nebenbei die Anwesenheit von Matthäus in der gegnerischen Hälfte überflüssig machte. Der Debütant war einer der wenigen „positiven Ansätze“, die Erich Ribbeck schließlich doch noch ausfindig machte, ansonsten kann man nur Matthäus zustimmen, der bezüglich des Stromausfalls in der Halbzeit meinte: „Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn das Licht nicht wieder angegangen wäre.“ Vielleicht sollte sich beim Leverkusener Spiel gegen Moldawien vorsichtshalber jemand am Sicherungskasten postieren.
Schottland: Sullivan – Weir, Hendry (66. Ritchie), Boyd, Davidson (79. Whyte) – Johnston (85. O'Neill), Lambert (85. Cameron), Gemmill (60. Jess), Durrant (73. Winters) – Hutchison, Dodds
Zuschauer: 27.000, Tor: 0:1 Hutchison (65.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen