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Modell Kleinfamilie

■ Postpubertäre Genies und nerds with attitude: Die Beastie Boys im Velodrom

Wie ein strahlend leuchtender Himmelskörper liegt die Bühne mitten im menschenvollen Raum. Sie ist rund, dreht sich wie ein Plattenteller um sich selbst. In der Mitte, der Schaltzentrale, stehen die Musiker an den Keyboards, Turntables, Gitarren und Kontrabaß. Drum herum hüpfen die drei Beastie Boys, in einheitlich graublauer Arbeitsuniform, und werfen sich die Parolen wie Bälle zu, besonders drahtig bei Hip-Hop-Nummern wie „Sabotage“ und Punksongs wie „Heart Attack Man“.

Wenn es die Dramaturgie so will, wechseln sie an die Instrumente, tauchen in rotes Licht und verschwinden in den spacig psychedelisch wabernden und groovenden Instrumentals wie „Namasté“ oder „Sabrosa“. Wie eine dreibeinige Raumstation im All, mit Warp-Kern und Satelliten: Die Galaxie ist die mal hüpfende und enthusiastische, mal ganz in sich selbst versunkene Masse der mehr als fünftausend Zuschauer im Velodrom. Unsere kleine Welt heute abend: ein abgekapselter Mikrokosmos, in dem alles drin ist - das Universum der Beastie Boys, der heiligen Dreifaltigkeit aus Übersee.

Viel zu schweißtreibend wäre es, ihre durchgeknallten Samples aufzudröseln und nach Quellen zu durchforsten. Daß sie ihre Wurzeln in der Schnittmenge von Hardcore und Hip Hop haben. Daß sie damit die in den Neunzigern vielleicht glaubwürdigsten Mittler zwischen Mainstream und Underground und Übersetzern der Kulturen geworden sind. Daß sie jetzt eines der coolsten, konsensfähigsten und integrationsförderndsten Rollenmodelle darstellen, das scheint trotzdem sicher zu sein. Es ist ihr Wandel von rebellischen Bürgersöhnchen zu Familienvätern, ihr würdevolles Erwachsenwerden mit Pop. Es ist das Dasein als Nerd mit erhobenem Kopf, der nie enden wollenden Prozeß des Sammelns und Zitierens, des Überblickverlierens und Sichdurchwurschtelns, bis doch alle paar Jahre eine Wolke von einem Album dabei herausspringt. Es ist ihre Performance als postpubertäre Genies, die sie so herrlich liebenswert macht.

Man stellt sich das so vor: Tagaus, tagein im Warp-Kern Nummer zwei, dem eigenen Studio, vollgepackt mit altem Equipment. Das Kleinfamilienmodell: Kommunikation, Teamwork und lebenslange Freundschaft. Buddhismus, Ganzheitlichkeit, Verschmelzung von Arbeit und Freizeit, Privatsphäre und Produktivität durch Aneignung der dazu notwendigen Produktionsmittel. Das selbstgebastelte Medienimperium, wo es nicht nur Benefiz, sondern auch Musik und Fanzine, überteuerte Turnhemdchen und Socken zu kaufen gibt.

Die Beastie Boys lassen aberwitzige Hoffnung aufblitzen. Sympathieträger und Sympathisanten sind sich nahe wie sonst selten bei Konzerten dieser Dimension. So richtig erträglich wird all die Harmoniesucht aber nur durch die kühle Arroganz der drei, das Zitieren der alten Jugendsünden, ihre unverschämt hysterischen, patzigen, nörgelnden und nervenden Raps.

Nur so kann man es einfach so stehenlassen, das flauschige Geborgenheitsgefühl von der ersten bis zur letzten Minute dieses Konzerts, das an diesem Abend der schönste Platz im All war.

Susanne Messmer

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