: Der Tag, als Paul kam
Ciao Startum, hello Kunst: Paul McCartney stellt erstmals seine Malerei in der Provinz Südwestfalens aus ■ Von Mike Külpmann
,,Viele Städte in Italien wollen deine Bilder auch ausstellen“, sagte ein Journalist zu Paul McCartney während seiner Pressekonferenz in Siegen. ,,Ohne sie gesehen zu haben?“, kontert der Popstar und wirft einen verschmitzten Blick nach rechts. Dort sitzt der Ausstellungsorganisator Wolfgang Suttner und freut sich über seinen Schützling. Immerhin nimmt die Gegenfrage auf, was der Deutsche seit Wochen in allerlei Medien erklären muß: Warum findet die Premiere der McCartneyschen Malerei ausgerechnet in Siegen statt? Warum gerade in dieser 100.000-Einwohnerstadt im Niemandsland zwischen Dortmund, Frankfurt und Köln, wo es gerade mal eine Uni und eine Fußball-Regionalligamannschaft gibt? Dabei ist es doch so einfach: ,,Because Wulfgäng lives hier“, sagt Paul, und der sei der einzige, der sich ernsthaft für seine Malerei interessiert habe und nicht für den Popstar. Anfragen hat es viele gegeben, Hunderte, aber auf die Idee, sich die Bilder erst einmal anzusehen, war niemand gekommen. Niemand außer dem Kulturreferenten des Kreises Siegen-Wittgenstein, Wolfgang Suttner. Das Interesse hat sich gelohnt: Am Freitag kam Paul McCartney, um ,,paintings“ zu eröffnen.
Suttner hat die Vorgeschichte schon so oft erzählt, daß sie inzwischen wie eine Legende klingt: Vor vielen Jahren sei er bei einem McCartney-Konzert in Dortmund gewesen (,,wegen meiner Tochter“, so Suttner) und habe am Rande in einem Interview gelesen, daß der Musiker eine ganze Menge selbstgemalter Öl- und Acrylbilder in seiner Garage aufbewahre. Ohne so recht vom Erfolg seiner Mission überzeugt zu sein, bekundete er formell Interesse bei der McCartney-Agentur MPL, die Bilder sehen zu wollen. Einige Wochen später meldet sich Linda McCartney telefonisch bei ihm.
An das erste Treffen nach einer wilden Autofahrt durch die Hekken Südenglands erinnert sich Suttner genau: ,,Er kam auf mich zu und sagte ,Hi, I'm Paul McCartney‘, aber ich sagte: ,No, you are Paul Miller, an unknown English artist.“ So wollte er seine eigene Nervosität im Zaum halten, dem Weltstar unbefangen gegenübertreten. Über fünf Jahre lang sollte Suttner nun diesen ,,Paul Miller“ immer wieder besuchen, sollte stundenlang über dessen Bilder diskutieren, sie kritisieren, bis Sir Paul himself den Wunsch äußerte, endlich einmal öffentlich ,,Feedback“ auf seine Malerei zu bekommen. Er wollte ausstellen, wie es jeder Absolvent einer Kunsthochschule tut. In New York oder London wäre er nur der malende Beatle gewesen, aber in Siegen? Vielleicht würde man ihn dort als Künstler so ernst nehmen, wie ,,Wulfgäng“ es bislang getan hatte.
Und ,,Wulfgäng“ gibt sich in der Heimat alle Mühe, die Beteiligten auf diesen Aspekt des Unternehmens ,,McCartney“ einzuschwören. Unermüdlich unterstreicht er dessen Bedeutung als Künstler, spricht vom ,,freien Malgestus“, mit dem er ,,innere Bildvorräte aktiviere. ,,Abstrakter Expressionismus“, ,,Surrealismus“ und ,,Pop-art“ seien die Inspirationen des ,,Multitalents“ McCartney, Willem De Kooning sein Vorbild. Von Personenkult will er nichts wissen, alle Beatles-Referenzen seien völlig unangebracht.
Doch neben den ideellen gab es weitaus handfestere Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Suttner war zwar Leiter des Kultur- und Medienhauses Lyz, aber eine angemessene Galerie gab es in Siegen nicht. Eine Strategie muß her: Der Kreisbeamte vermarktet die Ausstellung als image-trächtiges Großereignis für die Region und läßt das Lyz im Handstreich um 600 Quadratmeter Ausstellungsfläche erweitern. Eine spezielle Beleuchtung wird auf Wunsch McCartneys extra entworfen und angefertigt. Über die Kosten schweigt man sich aus. ,,Mit absoluten Zahlen stößt man bei der Kulturarbeit in Siegen nur auf Unverständnis“, so ein Sprecher des Lyz. Eine interne Kostenrechnung geht von 1,4 Millionen Mark aus, Mitarbeiter der Kreisverwaltung rechnen eher mit dem Doppelten.
Kritiker der Ausstellung gibt es kaum. Zu einmalig scheint die Chance, endlich den Ruf des sterbenden Stahlstandortes loszuwerden. Daß der Ausstellungskatalog als Prestigeobjekt nicht in Siegen, sondern in Süddeutschland gedruckt wurde, interessierte niemanden am vergangenen Freitag; dem Tag, als Paul kam. 18 Minuten lang beantwortete er die Fragen von 250 Medienvertretern, dann feierte er abends im Kreis seiner Freunde und geladener Gäste die Eröffnung der Ausstellung. Dort gibt es neben über 70 Arbeiten zwischen 1983 und 1995 auch Fotos, die Linda McCartney von ihrem Mann während des Malens aufgenommen hat. Den Abschluß bildet eine Video-Installation mit sechs Monitoren, die McCartney als Gitarrist zeigen. In leicht zeitversetzten Sequenzen hört man disharmonische Tonfolgen und Lautsprecherpfeifen – jenes ,,Feedback“ eben, das er sich als Maler erhofft.
In seinen Bildern selbst gibt sich der Star zugänglicher. Es dominieren klare Farben, oft zentimeterdick aufgetragen, dann wieder abgekratzt; hier und da ist sogar die Leinwand beschädigt. Pop-Ikonen wie Bowie, Warhol oder Elvis tauchen ebenso auf wie seine Frau Linda und die Queen. Mit 40 habe er noch einmal etwas Neues anfangen wollen, so McCartney, der das langjährige Hobby seit 1983 intensiver betreibt. Kritiken interessieren ihn nicht, und auch das Risiko einer künstlerischen Bauchlandung scheint den Ex-Beatle nicht zu stören.
Gegen Abend säumen um die tausend Menschen die Straße vor dem Siegener Kulturhaus. Endlich fährt ein Wagen durch die Menge und hält unmittelbar vor dem Eingang, in dem McCartney mit einem kurzen Winken verschwindet. Eine Chance auf ein Autogramm gibt es für die meisten nicht. Ein Sprecher des Lyz entschuldigt sich: ,,Es geht schließlich um den Maler, nicht um den Pop-Star McCartney.“
„Paul McCartney – paintings“, bis 25. 7., Kunstforum Lyz, Siegen
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