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Kolumbien leidet an Asienvirus

Das wachstumsverwöhnte Kolumbien erlebt schwerste Wirtschaftskrise des Jahrhunderts. Bürgerkrieg und Drogenbosse erschweren die Lage  ■ Aus Bogotá Knut Henkel

Pessimistisch schauen die fliegenden Händler auf der Plaza Bolivar in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá auf ihren Bauchladen. Kaum jemand will die angebotenen Süßigkeiten, die Zigaretten oder die Schnürsenkel kaufen. Den Kolumbianern sitzt das Portemonnaie alles andere als locker in der Tasche. Kein Wunder, denn die offizielle Arbeitslosenquote hat mit 19,52 Prozent ihren höchsten Wert erreicht.

Die Zeiten, in denen Kolumbien als wirtschaftlich stabilstes Land Lateinamerikas galt, sind vorbei. Früher wuchs die Wirtschaft jährlich um fünf Prozent. Heute hat die Arbeitslosigkeit Rekordmargen erreicht, die Exporte befinden sich im freien Fall, und die Inlandnachfrage ist um bis zu 63 Prozent gesunken. 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter gelten als unterbeschäftigt und sind im informellen Sektor tätig. Über mangelnden Zulauf kann sich allerdings auch nur dieser Sektor nicht beklagen.

Die Ursache der Krise sind größtenteils hausgemacht, ist sich Wirtschaftsanalist Santiago Montenegro von der Universität der Anden sicher. „Seit 1994 haben wir mit zwei makroökonomischen Ungleichgewichten zu kämpfen. Zum einen mit dem Haushaltsdefizit, das sprunghaft auf bis zu 4,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts angestiegen ist, zum anderen mit dem Leistungsbilanzdefizit, das ebenfalls eine alarmierende Größenordnung erreicht hat.“ Bis 1997 machten sich diese Schieflage nicht negativ bemerkbar, da die Defizite mit externen Zuflüssen gedeckt wurden. Billige internationale Kredite standen bis zur Asienkrise in ausreichender Menge zur Verfügung. Doch dann schnellten die Zinsen in die Höhe, und 1998 mußte die Regierung Samper mitten im Wahlkampf ein Konjunkturprogramm einstellen, weil die Kassen leer waren – die Regierung hatte über ihre Verhältnisse gelebt.

Die Nachfolger leben zwar sparsam, haben aber gerade mit dem Sparprogramm und höheren Steuern die einsetzende Rezession verschärft. Die Bevölkerung ist daher pessimistisch, und von einem Wandel zum Guten wagt derzeit niemand zu sprechen. Selbst die Regierung prognostiziert erst für die zweite Hälfte des Jahres einen leichten Aufschwung. 1998 wuchs die Wirtschaftsleistung um 0,6 Prozent – die niedrigste Quote für das seit den dreißiger Jahren wachstumsgewöhnte Kolumbien. Einziger Lichtblick der kolumbianischen Wirtschaft ist das wichtigste Exportprodukt des Landes: das Erdöl.

Mitverantwortlich für den Absatzschwund im Industriesektor ist die wirtschaftliche Talfahrt in den Nachbarländern Ecuador und Venezuela. Mit ihnen wickelt Kolumbien 30 Prozent des Außenhandels ab, und die Länder haben mit ähnlichen Problemen – wie die starke Abhängigkeit vom Erdölexport oder die alarmierende Situation im Finanzsektor – zu kämpfen. „In Kolumbien gibt es, ähnlich wie in Ecuador, ein Überangebot an Banken. Was sollen denn 36 Millionen Kolumbianer mit über 100 Geldinstituten?“ fragt sich Santiago Montenegro und stellt sich somit auf die Seite von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank, die dem Finanzminister Camilo Restrepo die Privatisierung der vielen staatlichen Institute ans Herz gelegt haben.

Doch viele Banken, vor allem jene im Staatsbesitz, sitzen auf Haufen von faulen Krediten. Die Kreditvergabe war anscheinend allzuoft mehr aus politischen Motiven oder zur persönlichen Bereicherung erfolgt als nach ökonomischen Kriterien.

Auf Restrepo, der sich daran gemacht hat, das Haushaltsdefizit abzubauen und die Leitzinsen von mittlerweile für kolumbianische Verhältnisse erträglichen 21,9 Prozent zu senken, kommt viel Arbeit zu. Restrepo will allerdings nicht nur staatlichen Geldinstitute privatisieren, sondern auch die Ministerien reduzieren und dasBildungs- und Gesundheitssystems privatisieren, wogegen die Gewerkschaften Sturm laufen. Erste Demonstrationen Ende April legten den Nahverkehr in Bogotá lahm, und für den 1. Mai rechneten die Gewerkschaften mit den größten Manifestationen gegen die neoliberale Regierungspolitik.

Entscheidend für die Wiederbelebung der Wirtschaft ist allerdings auch, daß das von Bürgerkrieg und Drogenhandel geprägte Land sicherer für investitionsfreudige Unternehmer aus dem In- und Ausland wird.; allein der Bürgerkrieg kostet rund 2 Prozent Wachstum im Jahr, wie Restrepo jüngst internationalen Investoren vorrechnete. Noch wenden die Investoren sich nicht von Kolumbien ab, aber die Anzeichen dafür häufen sich.

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