Sie können auch anders

Weil (?) die „Lindenstraße“ am Sonntag ihre 700. Folge ausstrahlte, feierte sie auf der Buga ein Volksfest  ■ Aus Magdeburg Andreas Milk

Die junge Dame heißt Liane und ist aus Ostfriesland gekommen. Beginn einer strahlenden Karriere an der Seite Mutter Beimers? Moment, Moment, sagt Horst D. Scheel, bei der „Lindenstraße“ für die Rollenbesetzung zuständig – so schnell gehe das nicht. Andererseits: Entdeckungen habe er schon bei verschiedensten Gelegenheiten gemacht.

Und so bringt sich Liane in Stellung: Mit Andrea Spatzek/Gabi Zenker darf sie eine Szene nachspielen; in der Rolle der Rosi Koch nervt sie mit astrologischem Schnickschnack. Drehbuchgemäß blafft die Spatzek sie an: „Jetzt hör endlich auf, Mutter!“ Mitgeschnitten auf Video darf „Mutter“ ihren Auftritt mit nach Hause nehmen.

Kein professionelles Casting, sondern eine Attraktion auf der Bundesgartenschau (Buga) in Magdeburg: Am Sonntag wurde die 700. Folge des ARD-Dauerbrenners gefeiert. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Kölner „Lindenstraße“-Crew monatelang den Osten bereist, um, so Hans W. Geißendörfer, Erfinder der Serie, zum gegenseitigen Verständnis beizutragen.

Wir sind ein Volk – und hier ist das Volksfest. Dieses Fest war auf der Buga allgegenwärtig: Auf ein halbes Dutzend „Erlebnisbereiche“ hatte das Organisationsteam die Attraktionen verteilt, und statt in Andi Zenkers Taxi zockelten die Lindensträßler in Elektrokarren durch die Gegend, chauffiert von Bodyguards. Die waren auch nötig: Kontakt zu den Fans ja, aber Anfassen ist nicht, zu gefährlich im Getümmel. Als gesittet und diszipliniert erweist sich das Publikum beim Schlangestehen. „Kein Wunder, unter Honecker haben die ihr halbes Leben mit Schlangestehen verbracht“, könnte Onkel Franz anmerken, der alte Nazi.

Dessen Darsteller Martin Rickelt ist ein liebenswürdiger Mensch und freut sich, wenn so viele Leute von ihm ein Autogramm möchten und dafür sogar eine halbe Stunde warten. Annemarie Wendl – „Die Else bin ich nicht, die spiel' ich nur“ – hat, wie Rickelt, herzlich wenig mit ihrer Figur gemein. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen sitzt sie auf der Seebühne: In einer Talkrunde ist Erstaunliches zu hören und zu sehen, zum Beispiel, daß Ludwig Haas steppen kann (von der Mattscheibe kennen wir ihn als den querschnittgelähmten Doktor Dressler) und Rebecca Siemoneit-Barum (Iffi) ganz in echt einen kleinen Sohn hat.

Außerdem, so ist zu hören, werde die ehemalige DDR bald schon eine größere Bedeutung in der „Lindenstraße“ haben. Verspricht jedenfalls Drehbuchautor Michael Meisheit. Freilich: Weder chinesische Wasser- noch Klingsche Schwatzfolter könnten ihn dazu bewegen, Details preiszugeben vom Inhalt künftiger Folgen. Vor Tagen erst habe sich das Autorenteam getroffen und den roten Faden bis weit ins Jahr 2000 hinein gesponnen, erzählt Meisheit.

In guter schlechter Erinnerung haben „Lindenstraße“-Süchtige einen Abstecher nach Sachsen: In einem Amphitheater – Dramatik, Dramatik! – brüllten sich Claudia Ranzow (mit Stasi-Vergangenheit) und Benny Beimer (mit moralischem Anspruch) minutenlang an. Abgesehen vom Plündern des berühmten Nähkästchens: Die Weekly-Soap-Stars können auch anders. Und zwar singen. Ist doch auch nur gerecht: Wenn schon Manuela aus Hessen auf der Buga das R-R-Rehlein vom stotternden Hajo spielen darf, soll auch Mutter Beimer, Marie-Luise Marjan, wider den Krieg „Sag mir, wo die Blumen sind“ intonieren, mit aktuellem Bezug, wie die „Lindenstraße“ halt so ist.

Wenige Meter entfernt: Summen und Hüsteln – aus dem ganzen Land sind Chöre zum Wettstreit herbeigeeilt, die „Lindenstraße“-Titelmelodie zu singen. In der Jury: Die Prinzen. Der Siegerchor muß zu Max Schautzer – keine Ahnung, was der mit all dem zu tun hat. Wer dagegen beim Buga-Gewinnspiel für nichtsingende Gäste den Hauptpreis ergattert hat, darf im Oktober mit der „Lindenstraße“-Mannschaft nach Mallorca, Jahrzehnte schon mit Westdeutschland vereinigt.

18.40 Uhr. Auf der Video-Großbildwand im Gelände wird die aktuelle, eben die 700. „Lindenstraße“ gezeigt. Tausende lümmeln sich auf dem Rasen, als vor ihren Augen Helga Beimers Enkelin Lea aus dem Fenster fällt. Helga, vom Einkauf heimkehrend, schreit in Panik. Reaktion auf der Wiese: Kreischen, Johlen, Klatschen. Es guckt zusammen, was zusammen gehört.

... und Mutter Beimer-Marjan sang wider den Krieg „Sag mir, wo die Blumen sind“ – mit aktuellem Bezug: typisch