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Gut gemeint ist nicht gut

Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer findet nicht nur Anhänger für ihre „Reform 2000“    ■ Von Annette Rogalla

Berlin (taz) – Andrea Fischer ist irritiert. Seit vier Tagen preist sie ihre „Arbeitsvorlage zur Gesundheitsreform“, und kaum jemand findet sich, der applaudiert. In Leipzig wurde sie am Samstag von ostdeutschen Ärzten minutenlang ausgepfiffen, und auch gestern, in der Bonner Beethovenhalle, zürnten ihr die Mediziner. Ganz zu schweigen von den Kritikern in der SPD und bei den Grünen. „Ich bin erstaunt, wie schnell und mit welchen pauschalen Argumenten meine Vorlage kritisiert wird“, sagte Fischer zur taz.

Ihre Ratlosigkeit überrascht. Bereits in der vorvergangenen Woche hatten Gesundheitspolitiker der SPD vor einem übereilten Entwurf der „Gesundheitsreform 2000“ gewarnt. Allen voran die nordrhein-westfälische SPD-Gesundheitsministerin Birgit Fischer. Sie kritisierte, daß die Reform der Finanzverfassung der Krankenhäuser lediglich auf vage Absichtserklärungen für die Jahre 2005 und 2007 reduziert werde. Damit sei ein wesentlicher Baustein der Reform unsicher. Der Entwurf sieht vor, daß die Krankenkassen im Jahr 2005 erstmals 2,3 Milliarden von insgesamt 6,8 Milliarden Mark für Investitionen an den Kliniken übernehmen. Im nächsten Schritt (2007) sollen sie die Krankenhäuser insgesamt finanzieren. Bisher sind dafür die Länder zuständig. Mit dieser Vollfinanzierung (Monistik) durch die Kassen geht den Ländern nach und nach auch das Planungsrecht über die Krankenhäuser verloren. Sie büßen politische Macht ein.

Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Monika Knoche befürchtet, daß Andrea Fischer mit ihrem Vorschlag weit außerhalb des zuvor vorgelegten Eckpunktepapiers agiert. In Zukunft hätten die Kassen die Möglichkeit, Verträge mit Krankenhäuser zu kündigen, obwohl ein Bedarf für sie bestehe, sagte Knoche. Fischers Entwurf räume den Krankenhäusern „wenige Optionen für eine qualitative Erneuerung“ ein. Durch die Verbindung von Monistik und dem Kündigungsrecht könnten sich bislang sinnvolle Versorgungsstrukturen für die Kassen möglicherweise nicht mehr rechnen. „Dann wird ein kleines Krankenhaus einfach dichtgemacht, wenn die Betten nicht voll belegt sind, obwohl dieses Haus vielleicht eine gute Geburtsstation hat“, fürchtet Knoche. Die neue Macht der Kassen könne zu Lasten der Patienten gehen. Monika Knoche bewertet die 217seitige Vorlage des Bundesgesundheitsministeriums in großen Teilen als „neoliberal“. Die Gesundheitsministerin verzichte auf eine Gestaltung der medizinischen Versorgung im öffentlichen Bereich und stärke statt dessen die privatenArztpraxen.

Aus ganz anderen Gründen, doch nicht weniger vehement lehnt die Techniker Krankenkasse das Arbeitspapier ab. „Unbrauchbar, realitätsfremd, untauglich“ – starke Adjektive findet Norbert Klusen, Vorsitzender des Vorstands der TK. Vor allem die Regelung zum Globalbudget sei ein „bürokratisches Monstrum“. Der Finanzrahmen, innerhalb dessen sich die Ausgaben bewegen müssen, soll nicht von den jeweiligen Kassen kontrolliert werden, sondern von ihrem Verwaltungsüberbau, den Kassenverbänden auf Länderebene. Sie dürfen bei drohender Budgetüberschreitung in den Haushalt der Kassen eingreifen. „In diesem Spinnennetz müssen sich alle Beteiligte verfangen“, meint Klusen.

Die Gesundheitsministerin will die Kassen aus der Rolle der Verwalter von Mitgliedsbeiträgen herausbringen. Sie will das Monopol der Ärzte und Krankenhäuser brechen und es den Kassen ermöglichen, medizinische Leistungen gezielt einzukaufen. Demnächst können die Kassen mit Kliniken und Arztgruppen eigene Verträge schließen. Zwar darf eine einzelne Kasse solche Verträge schließen, sie muß es aber allen anderen Kassen mitteilen. Findet sich eine zweite, die in das Vertragspaket einsteigen will, darf sie nicht zurückgewiesen werden. Mit dieser Regelung, so die TK, werde der Wettbewerb zwischen den Kassen unterdrückt. „Es bringt uns nichts, wenn unsere Konkurrenten vorab wissen, was wir für die Mitglieder Neues anbieten wollen.“ Die TK spricht von einer „Innovationsbremse“, von einem „stumpfen Schwert im Wettbewerb“ und verlangt Nachbesserung. Dafür wird Andrea Fischer wenig Zeit haben. In drei Wochen will sie eine beschlußfähige Gesetzesvorlage präsentieren.

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