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Die Nato bombt in Belgrad das Licht aus

Luftangriffe auf Elektrizitätswerke legen die Stromversorgung in weiten Teilen Serbiens lahm. Auch die Wasserversorgung bricht zusammen. Das Militär hat angeblich seine eigenen Stromaggregate und genug Diesel für drei Jahre Krieg  ■   Aus Belgrad Andrej Ivanji

Zuerst heulten Montag nacht gewohnheitsmäßig kurz vor neun die Sirenen in Belgrad auf. Und wie jeden Tag stellten sich die über zwei Millionen Einwohner der jugoslawischen Hauptstadt die gleiche Frage: Sind heute wir dran, was wird die Nato zerstören? Eine Stunde später ging das Licht aus. Ganz Belgrad hatte keinen Strom. Diesmal hat die Nato mit speziellen Graphitbomben einen gewaltigen Kurzschluß im Stromnetz ausgelöst und die Stromversorgung in zwei Dritteln Serbiens lahmgelegt. Kurz danach fiel auch die Wasserversorgung aus.

In einem Hochhaus im Zentrum Belgrads brach die Panik aus. Die seit Wochen durch den Krieg und seine Folgen völlig überreizten Menschen stürmten in der Dunkelheit ins Freie. Erst vor wenigen Tagen sind zwei zivile Häuser in Belgrad zerstört worden. Jemand stürzte auf der Treppe. Aus dem Fahrstuhl hörte man Hilferufe.

Allmählich füllte sich der kleine Park vor dem Haus mit Menschen. Der Himmel war kristallklar, das Mondlicht ließ die Szene irreal erscheinen. Zwei Männer trugen eine ältere Frau, die ein Bein gebrochen hatte. Ein Kind stand völlig still mit seinem Teddybären in der Hand. Mit Mobiltelefonen versuchte man zu erfahren, was geschehen ist. „Sie haben Obrenovac getroffen, das größte Elektrizitätswerk in Serbien“, verkündete ein Herr im Bademantel feierlich. Eine Frau fing zu weinen an: „Diese Schweine wollen uns quälen, uns ohne Strom und Wasser lassen. Meine Mutter ist im Krankenhaus“. Ein 19jähriger Student schwor verärgert, am nächsten Tag freiwillig zur Armee zu gehen, um gegen die „Nato-Verbrecher, die Serbien systematisch zerstören“, zu kämpfen.

Gestern morgen waren erst 30 Prozent des verursachten Schadens behoben. Vor allem die dicht besiedelten Vororte Belgrads blieben nach wie vor ohne Strom und Wasser. Der Ingenieur Milan Jovanovic, der die ganze Nacht im Einsatz war, sagte zur taz entrüstet: „Die Behauptung der Nato, durch die Zerstörung des Stromnetzes die Kommandozentralen der jugoslawischen Armee ausschalten zu wollen, ist genauso dumm und zynisch, wie die Erklärungen, mit der Vernichtung von Raffinerien und Erdöllagern die Armee lahmlegen zu wollen.“ Mit solchen Einsätzen sei ausschließlich die Zivilbevölkerung getroffen, denn die Kommandozentralen der Armee hätten eine eigene Stromversorgung. Zudem habe die Armee genug Diesel für drei Jahre Krieg in unterirdischen, atombombensicheren Bunkern aufbewahrt.

Wenn die Nato mit der Vernichtung des Stromsystems fortsetzt, wird Millionen von Menschen die Lebensgrundlage genommen, dann wird es in Großstädten kein Wasser, kein Brot, keine medizinische Versorgung mehr geben. Krankenhäuser haben eine Notversorgung nur für Stunden, nicht für Tage, Säuglinge und Operationsbedürftige werden sterben.

„Wir haben ein großes Problem mit der Wasserversorgung“, erklärte gestern eine ermüdet klingende Gesundheitsministerin Leposova Miloevic in einem Telefoninterview gegenüber dem US-Nachrichtensender CNN. „Ohne Strom können wir die Wasserversorgung nicht gewährleisten.“ Und sie erwarte, daß die Schäden und damit auch die Einschränkungen noch zunehmen würden, denn: „Wir haben jeden Tag und jede Nacht Bombardierungen.“

In Belgrad drängt sich die Frage auf: Wie soll die Auslösung einer humanitären Katastrophe in Serbien, die tragische Situation der kosovo-albanischen Flüchtlinge in Makedonien, Albanien und Montenegro verbessern? Und wenn das schon nicht funktioniert, was ist dann der Sinn dieser systematischen Zerstörung Serbiens?

Die Annahme, die Angst vor den Bomben und die dadurch verursachte soziale Not würden die Bevölkerung dazu bringen, gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloevic zu demonstrieren, erscheinen in Belgrad weltfremd.

Gestern Nachmittag um 15.00 Uhr fiel in der jugoslawischen Hauptstadt erneut der Strom aus. Radio und Fernsehen sendeten nicht mehr.

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