Guter Nachbar

■ Der Möbelspediteur Johnny Dowd exorziert feierabends seine Dämonen

„Ich mag Normalität“, sagt Johnny Dowd. Wer – Hand aufs Herz – würde ihm da nicht beipflichten wollen, vorausgesetzt, man definiert „Normalität“ nicht als bigotte Kleinbürgerveranstaltung. Wer will denn wirklich in die Abgründe hinabschlittern, in die hinabzublicken noch ein wohliges Schaudern auszulösen vermag?

Der gebürtige Texaner, der das biographisch Übliche (Armee, Herat, Scheidung) in Oklahoma hinter sich brachte, auch nicht. Deshalb singt er darüber. Motto: Das Böse bannen, indem ich es beim Namen nenne! Seine Brötchen verdient Dowd (noch) als Möbelspediteur in Ithaca, Bundesstaat New York – seine Dämonen exorziert er nach Feierabend und über Jahre unter weitgehendem Ausschluß der Öffentlichkeit in Songs, die beispielsweise „Worried Mind“, „Mystery Woman“ und „Butcher's Son“ heißen.

Schon diese Titel verweisen darauf, daß Dowd prinzipiell ein Bluesmann ist. So wie auch Hank Williams sen. prinzipiell ein Bluesmann war. Er selbst sieht sich als „Prediger auf der Suche nach einer Kirche“, aber auch nur dann, „wenn Rock'n'Roll eine Religion wäre“. Dowd allerdings kann es sich wirklich leisten, Williams' „Pictures From Life's Other Side“ zum Titelsong seines neuen, zweiten Albums zu küren und gleichsam zur unheilvollen Ouvertüre für seine eigene Schattenwelt, in der nicht immer gleich Blut spritzen muß, um Schuld an Händen kleben zu lassen, die kaum noch reinzuwaschen sind. Hier fallen Jüngstes Gericht und Fegefeuer gleich zusammen.

Dowds aktuelle Messe fällt musikalisch nicht mehr ganz so monochrom aus wie noch auf dem Debüt Wrong Side Of Memphis, das Kritiker zu hübsch-plakativen Bildern animierte. „Als würde Anthony Perkins Johnny Cash ausweiden“, schwärmte etwa das Mojo-Magazin. Vielmehr erweiterte er für Life's Other Side sein Arrangement-Arsenal, baut stärker auf Drums und Keyboards, auch auf die Zweitstimme von Kim Sherwood-Caso. Doch selbst sie kann nicht verhindern, daß dieser American-Gothic-Trip in die Untiefen von Blues, Gospel, Country eins gewiß nie ist: gefällig und gediegen.

Doch darf man – siehe oben – die Psycho Killer und Humanwracks, die Johnny Dowd bei der Arbeit beobachtet, natürlich nicht mit ihm selbst verwechseln. In Ithaca, Bundesstaat New York, gilt Dowd keineswegs als der mit der Klatsche, ist er (nicht nur beim nächsten Umzug) ein respektierter Mitbürger und versucht ein guter, hilfsbereiter Nachbar zu sein.

Andererseits: Was heißt das schon? Was wissen wir wirklich von unseren Nachbarn, außer daß sie vermutlich genausoviel über uns tratschen wie wir über sie? Sie müssen ja nicht gleich Tim Robbins heißen und Bomben zünden.

Jörg Feyer Di, 11. Mai, 21 Uhr, Knust