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15 Minuten zum Anfassen

■ In den 80er Jahren war Nik Kershaw ein Moralist mit Gel im Haar. Bei seinem Berlin-Konzert war die Frisur neu und der Sound britpop

Die achtziger Jahre: neonfarbene Schweißbänder, Zauberwürfel und Netzhemden, türkis, von Quelle. Auf den Schulbus warten, Vokabeln lernen und Bravo, Pop Rocky und Popcorn lesen. Das Zimmer mit Postern tapezieren, einen Schwarm haben, auf frisierten Mofas über Stoppelfelder heizen, den ersten Walkman kaufen und aufs Federmäppchen „Nik Kershaw“ pinseln. Gleich neben Kajagoogoo, Howard Jones und den Thompson Twins. „Wouldn't It Be Good“ im Radio aufnehmen und auswendig lernen. „Formel Eins“ mit Peter Illmann gucken und bibbern, daß das Video kommt.

Nik Kershaw war genau richtig. Er hatte diese hochgestellte Gel-Strähnchenfrisur, fast so schön wie Limahl, er trug das dicke Sweatshirt in die Hose gestopft, Hände in den Hosentaschen, und er guckte immer so süß und lyrisch und entrückt. Er war ein Popper. Er lächelte nie. Er prangerte an. Seine etwas näselnd altklug und manierierte Stimme erzählte von Teezeiten am Kamin und ausgedehnten Spaziergängen durchs englische Hochmoor, nie und nimmer von durchzechten Nächten. Seine nicht eben moralfreien Songs lehrten uns, das schätzenzulernen, was wir hatten, und nicht immer nach anderem zu gieren. Wir waren Seelenverwandte, auch wenn er es nie erfahren würde.

Die süßlichen Synthieklänge ließen unsere Herzen haushoch schlagen. Und uns irgendwie auch ahnen, daß zumindest in den Achtzigern Raffinesse im Spiel sein mußte, um zu charten: Nik Kershaw konnte sie, die richtig hohe Kunst des Songwriting, mit ausgeklügelten Refrains, kniffligen, barocken Instrumentalpassagen. Ganz schön komisch ist es, einen so fernen, unberührbaren Stern zurück auf der Welt zu erleben, 15 Jahre danach, in einem mäßig besuchten Konzert in einer mittleren Konzerthalle, zum Anfassen halt.

Immer noch und nur dem Jetzt gehorchend, ist er einer, nach dem wir uns umdrehen würden. Sein T-Shirt ist gut, seine Frisur auch. Er lächelt immer noch sehr selten, ab und zu macht er mal eine coole Achtziger-Pose, läßt sich ironisch seitlich wegfallen, fängt sich wieder und schaut dann sehnsuchtsvoll ins Weite. Seine neuen Songs vom neuen Album „15 Minutes“ sind zwar immer noch süßlich und harmlos, aber modern, weniger verschnöselt und synthetisch, und manchmal klingen sie sogar wie Britpop, also eher hingerotzt und zufälliger als damals. Keine Ohrwürmer mehr, aber pfiffige und griffige, einfach schöne Lieder.

Kaum verwunderlich, daß Kershaw in der Zwischenzeit erfolgreiche Songs für Elton John und Boyzone geschrieben hat. Heute abend steht er auf der Bühne neben seinen Mitmusikern, spielt selbst Gitarre, als wäre nichts passiert, tut sich nicht hervor und schenkt uns einen superrunden Abend. Das ist kein schnödes Revival, keine Geldmacherei. Zwischendurch spielt er zwar alle seine alten Hits, auch „I Won't Let The Sun Go Down On Me“ und „The Riddle“, alle singen Wort für Wort mit, aber das macht nichts. Die alten Zeiten lassen auch Platz für Neues. Nik Kershaw setzt sich wieder in Szene, angenehm authentisch, als kleiner, smarter Englishman, der auch nach seinen berühmten 15 Minuten noch imstande ist, Spaß zu haben und zu machen und sich nicht genieren zu müssen.

Susanne Messmer

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