:
Tanzen und Toben ohne Weiber ■ Von Fanny Müller
Im Februar 45 schrieb meine Mutter an Oma: „Danke für die Wolle, ich habe den Kindern Sokken gestrickt. Hoffentlich setzt der Führer bald die Wunderwaffe ein.“ Schon Opa hatte einen Lehrer, der seinen Kopf im Krieg 70/71 gelassen hatte. Ein Unteroffizier, der die Knaben nicht nur am Sedantag mit Holzknüppeln exerzieren ließ. So war Opa körperlich als auch mental gut auf den 14-18er vorbereitet.
Auf den 39-45er war Opa als Ortsgruppenleiter ebenfalls bestens vorbereitet, durfte aber nicht mit, weil er schon zu alt war. Dafür durfte er aber zur Entnazifizierung antreten. Die fand im Sommer 45 in der Lüneburger Heide statt. Dort befand er sich in der Gesellschaft Gleichgesinnter, was auch prima war als Ersatz für die versäumte Kameradschaft im Schützengraben. Der Unterhaltungswert – insbesondere für spätere Erzählungen – war zwar nicht so hoch wie wenn neben ihm die Jungs reihenweise plötzlich ohne Kopf dagesessen hätten, aber es war schon klasse: Wohin das Auge blickte, keine Weiber, die einem in alles reinredeten. Mein Vater war im Kriege in einem Kaff namens Tutow stationiert, das die Soldaten „Tanzen und Toben ohne Weiber“ nannten. Das ist auch einer der Hauptgründe, warum Kriege für Männer schön sind. Dazu kommt zweitens noch jede Menge Technik, angefangen von den Armbrüsten bis hin zu all den Flugzeugen und Raketen, deren Namen ich mir nicht merken kann. „Cruise midlives“, wie meine Nachbarin neulich sagte. Was drittens eine große Rolle spielte, daß nämlich junge Männer zum ersten Mal aus ihrem Dorf rauskamen und zwar für umsonst, wenn man mal beiseite läßt, daß es meistens der Tod war, der umsonst war, der Reiseaspekt also, dürfte heute als marginal anzusehen sein. Greifen Sie sich auf der Straße irgendein beliebiges Arschloch heraus, und ich schwöre ihnen, das ist schon überall gewesen.
Was der Krieg weiterhin verspricht, ist viertens Abenteuer unter Lebensgefahr. Kann man aber schneller haben, wenn man sich in Amerika eine Zigarette ansteckt. Und alles unter diesem Level gibt's schon: Bungee-Jumping, Wildwasser-Rafting und alle die Sachen, die hinten mit -ing aufhören wie sharping; ausgenommen vielleicht shopping and fucking.
A propos: Fünftens darf man Kavaliersdelikte begehen, für die man zu Hause weggesperrt werden kann – jetzt verstehe ich überhaupt erst, warum so viele Leute scharf sind auf Bodentruppen: Vergewaltigungen und Häuser anstecken und Untermenschen abknallen macht ja nur dann wirklich Freude, wenn es nicht virtuell ist.
Was man sechstens auch gerne mal im Zusammenhang mit Krieg hört, ist: „Die eigenen Grenzen kennenlernen“, und damit sind nicht die deutschen Grenzen gemeint, die kann man ja gar nicht richtig kennenlernen, weil sie alle naslang verschoben werden. Nein, es geht hier um die persönlichen Grenzen. Männer möchten ihre persönlichen Grenzen kennenlernen. Auf Anfrage kann ich zwar jedem auf der Stelle seine Grenzen zeigen, aber mich fragt ja keiner. Zusammenfassend ist zu sagen, daß Krieg nur für Männer schön ist. Frauen kriegen im zweitschlimmsten Fall ein Telegramm von Sharping und im schlimmsten Fall müssen sie sich die nächsten 30 Jahre Geschichten anhören, die anfangen mit „Damals im Kosovo“. Maikäfer flieg ...
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen