: Lauter Streit um stumme Verkäufer
■ Der schwedische Konzern Kinnevik drängt derzeit mit einem täglichen Gratisblatt auf den deutschen Zeitungsmarkt. In München hat er nun ein erstes Experimentierfeld gefunden
O du schöne Welt! Alles wird immer billiger und manches kostet schon gar nichts mehr. Eine Tageszeitung zum Nulltarif will der schwedische Mischkonzern Kinnevik jetzt auf den deutschen Markt bringen.
Mit ihrem Gratisblatt Metro haben die Skandinavier bereits die Zeitungslandschaft in Stockholm umgepflügt: Seit Metro dort in den U-Bahnhöfen kostenlos verteilt wird, ist sie zur zweitstärksten Tageszeitung der schwedischen Hauptstadt avanciert. Ausgerechnet in München, wo sich heute schon fünf Kaufzeitungen um die Leser streiten, will die Kinnevik-Tochter Metro International ihren Versuchsballon steigen lassen und testen, ob sich mit dem kostenlosen Blatt (Arbeitstitel: Metropolis) auch in Deutschland Geld verdienen läßt.
Damit sind sie nicht die ersten. In Freiburg gibt es schon seit über einem Jahr einmal pro Woche die kostenlose, vom Verlagskonzern Gruner + Jahr mitfinanzierte Zeitung zum Sonntag, die sogar überregional erscheinen will. In Berlin wird täglich das Kleinverleger-Gratisblatt 15 Uhr aktuell verteilt. In Hamburg scheiterte im Oktober 98 kurzfristig ein ähnliches Projekt namens Hamburg direkt, während dort das vom Axel-Springer-Verlag gemeinsam mit der Hamburger Hochbahn AG fabrizierte Hamburg mobil seit Ende März in den U-Bahnen verteilt wird.
Das Blatt kostet nicht mal mehr einen Hosenknopf
Und nun also auch München, wo nicht nur Metro sein Begehr vortrug, sondern bereits sechs Monate später auch die norwegische Schibsted AG auf der Matte stand: Auch sie will in München eine Gratiszeitung verteilen mit dem programmatischen Titel 20 Minuten – München. Die Norweger legten ein nahezu identisches Konzept auf den Tisch wie es die Schweden haben: Die neuen Tageszeitungen sollen sich nur aus Anzeigen finanzieren, die rund 55 Prozent der Zeitung ausmachen. Die Stadt und die Verlage in München sind aufgeschreckt.
München als Experimentierfeld haben sich die Metro-Strategen deshalb ausgesucht, weil hier der Zeitungsvertrieb schon seit vielen Jahren eigene Wege geht: Einen Teil ihrer Auflage verkaufen Abendzeitung, Süddeutsche Zeitung, tz, Bild und Münchner Merkur über „stumme Verkäufer“, etwa 4.500 offene Kästen, denen man ein Exemplar entnimmt und dafür die geforderten Münzen oder aber auch mal Hosenknöpfe hineinschmeißt. Nun will Metro für sein geplantes Zeitungsprojekt insgesamt 311 solcher „Zeitungsentnahmegeräte“ aufstellen, mit dem Unterschied, daß man nicht mal mehr einen Hosenknopf dafür bezahlen muß.
Um die Stadt gewogen zu machen, hat Metro die Ochsentour durch die Rathausfraktionen angetreten. Denn der Stadtrat muß durch den Bauausschuß die Aufstellung neuer Zeitungskästen genehmigen. Um die Entscheidung zu erleichtern, macht Metro ein Angebot, das man kaum ausschlagen kann: Die mehrheitlich der Stadt gehörende Stadtwerke GmbH soll täglich eine ganze Seite zur Selbstdarstellung erhalten.
Was so schön klingt, hat aus der Sicht der IG Medien einen Haken: „Wir beobachten diese Entwicklung mit Sorge“, sagt Rudi Munz von der Gewerkschaft IG-Medien in Stuttgart. „Diese Billigblätter werden auch billig produziert, das heißt: auf niederem journalistischem Niveau und mit Billigkräften. Dort herrscht ein tarifloser Zustand.“ Denn die Metro-Zeitung kostet nicht nur nichts, sie ist auch auf die simpelste Weise zusammengestupselt. Eine Redaktion, die den Namen verdient, gibt es nicht.
Mit einem Trick will der OB das Projekt nicht zulassen
„Der schwäbische Grundsatz, daß was nix koscht, auch nix ist, trifft hier zu“, sagt Munz. Zudem müßten die Redaktionen am Ort durch den Metro-Angriff mit Auflageverlusten rechnen und im schlimmsten Fall Mitarbeiter entlassen. Doch da sei in München Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) vor! „Mehr ist weniger in diesem Fall“, sagt Ude und will die Schweden und Norweger mit einem Trick draußen halten und aus diesem Grund die Satzung der Stadt ändern lassen.
Danach sollen die „stummen Verkäufer“ nur noch für solche Zeitungen zugelassen werden, „deren Auflage zu einem überwiegenden Anteil über andere Vetriebswege abgesetzt wird.“ Damit hätten die Skandinavier keine Chance mehr. Um die Einschränkung in die Satzung aufzunehmen, ist allerdings eine Stadtratsmehrheit nötig.
Doch die droht nun ausgerechnet an der Fraktion der Grünen zu scheitern, weil auch ein Teil der grünen Stadtratsfraktion den billigen Jakob aus dem Norden hereinlassen will: „Wir begrüßen die Billigblätter nicht“, sagt der grüne Münchner Bürgermeister Hep Monatzeder, „aber wir tun uns schwer damit, einem Unternehmen nur deshalb den Markt zu verbieten, weil es damit anderen Konkurrenz macht. Mit der Satzungsänderung begeben wir uns außerdem auf dünnes Eis. Ich fürchte, die hat vor Gericht keinen Bestand.“ Eine Abstimmung im Stadtrat wurde vergangene Woche erst einmal wieder verschoben. Philipp Maußhardt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen