: Korrekturen vielleicht schon bald
Im Streit um die 630-Mark-Jobs sollen jetzt Unternehmensberatungen die Lage klären. Rentner vielleicht bald wieder ohne Abgaben ■ Von Annette Rogalla
Berlin (taz) – Von Widerstand ist die Rede, zivilem Ungehorsam, von Protestschreiben und Verweigerung. In jeder Stadt hat der neue Feind eine feste Adresse: das Finanzamt. Als Rädelsführer bietet sich Karl Heinz Däke dem Steuervolk an. Per Bild rief der Präsident des Bundes der Steuerzahler gestern zum „legalen Steuerwiderstand“ auf. Jeder möge seiner Steuererklärung ein Protestschreiben beifügen, mit folgendem Inhalt: „Wir verstehen die Vorschriften nicht, sie müssen verständlich erläutert werden.“ Däke und Bild sind sauer über das 630-Mark-Gesetz und den anderen „Steuerkrempel“.
Kaum ein anderes Thema bringt die Bundesdeutschen so in Harnisch wie die neue Regelung der Billigjobs. Sogar zum Bierstreik wird aufgerufen. Aus Protest wollen Gastwirte an Fronleichnam (3. Juni) in Nordrhein-Westfalen ihre Kneipen, Restaurants und Cafés geschlossen halten.
Kanzler Schröder horcht schon auf. Im Kreis junger SPD-Genossen kündigte er an, über Ausnahmeregelungen des mißliebigen Gesetzes nachzudenken. Zunächst aber sollen Unternehmensberater ran. Von Kanzleramtsminister Hombach gedrängt, lassen die Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen die Folgen der jetzigen Regelung erforschen.
Ein Sprecher der Düsseldorfer Staatskanzlei bestätigte gestern, daß eine Unternehmensberatung „exemplarische Untersuchungen“ anstellen soll. Vor allem die Auswirkungen in den Bereichen karitative Vereine, Gaststätten und Zeitungsverlage will man erkunden. Die Experten sollen auch „Lösungsvorschläge zur Verbesserung des Gesetzes bringen“, sagt Joachim Nuser von der Düsseldorfer Staatskanzlei.
Der Druck auf die Bonner Regierung wächst. Bayern möchte das Gesetz am liebsten bei der nächsten Bundesratssitzung am 23. Mai zu Fall bringen. Bis eine bessere Lösung gefunden sei, möge doch bitte wieder die alte Regelung in Kraft gesetzt werden.
Statt der derzeitigen 22 Prozent für Sozialversicherungsbeiträge sollen die Arbeitgeber wieder 22 Prozent Pauschalsteuer zahlen. Die Arbeitgeber zahlen die Steuer, der Arbeitnehmer ist bei den Sozialkassen nicht registriert. Dies hatte früher zum Mißbrauch der Billigjobs geführt. Wer mehrere solcher Arbeitsverhältnisse hatte, hinterzog zwar Sozialversicherungsbeiträge, aber der Staat schaute weg.
Bayern ist bereit, mit der Bundesregierung gemeinsam nach einer neuen Regelung zu suchen.
Ein großes Palaver soll Klärung bringen. Alle „gesellschaftlich relevanten Gruppen“ will man an einen Tisch bitten. Arbeitgeber, Gewerkschaften und Politiker sollen gemeinsam nach einer brauchbaren Lösung suchen.
Der große Aufstand aller verunsichert die Bundes- wie Landesregierungen. Seit Tagen hält sich das Gerücht, Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) stehe nicht mehr unter der schützenden Hand von Kanzler Schröder.
Riester, der als kluger Kopf ins Kabinett geholt wurde, verweigert sich den Änderungswünschen. Für ihn sei die Diskussion „interessensgeleitet“, läßt er ausrichten. Bevor er als zuständiger Arbeitsminister das Gesetz verändere, wolle er erst einmal die Ergebnisse der Unternehmensberater abwarten.
Noch sei der Auftrag nicht vergeben, hieß es gestern in der Düsseldorfer Staatskanzlei. Und mit ersten Ergebnissen sei nicht vor sechs Monaten zu rechnen. Soll sich die Regierung solange von ihren Kritikern aufreiben lassen?
NRW-Pressesprecher Joachim Nuser denkt schon heute laut über erste Korrekturen nach. Rentner, die sich ein Zubrot mit einem 630-Mark-Job verdienen, könnten sofort von der Abgabepflicht befreit werden. Das mag die Zeitungsverlage freuen. Viele Zusteller, die morgens um 5 Uhr aufstehen, sind Rentner.
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