: Blüm heißt jetzt Rüttgers – und gibt sich lässig
■ Mit neuem Outfit, aber inhaltlich kaum geänderten Konzepten hofft die CDU in Nordrhein-Westfalen, bei der Landtagswahl im nächsten Mai stärkste Partei zu werden
Düsseldorf (taz) – Auf Pressekonferenzen lächeln sie beflissen, ihr Händedruck ist fest, der Blick ungewohnt siegesgewiß. Wann immer der Landesvorsitzende Jürgen Rüttgers und sein Fraktionschef Laurenz Meyer vor den Journalisten posieren, fallen neuerdings Worte, die für die nordrhein-westfälische CDU bislang als verfehlt galten. Von „Selbstbewußtsein“ (Rheinische Post) ist die Rede, von „Angriffsschwung“ (Welt), vom „Zusammentreffen jungdynamischer Vierzigjähriger“ (WDR).
Nach 33 Jahren Daueropposition im SPD-Bundesland Nummer eins wirken die Düsseldorfer Christdemokraten, als seien sie aus dem politischen Koma erwacht. „Wir wissen, wir können es diesmal schaffen“, präsentiert sich Spitzenkandidat Rüttgers kampflustig angesichts der nächsten Wahl im Mai 2000. Der Amtserbe Norbert Blüms ist sich sicher: „Im nächsten Jahr wird die rot-grüne Bundesregierung die Hälfte der Legislaturperiode hinter sich haben. Das ist traditionsgemäß der Moment, in dem die Wählergunst für die Regierungspartei ihren Tiefpunkt erreicht.“
Rüttgers Mitstreiter Meyer ist ebenfalls guten Mutes. „Die SPD liefert uns gerade eine Vorlage nach der anderen, da brauchen wir nur noch zuzugreifen“, frohlockt der Diplomvolkswirt aus Hamm, dessen persönliche Erfolgsstory ebenso wie die seines Chefs Symbolwert für den Steilflug seiner Partei besitzt. Als Vorsitzender des HDO-Untersuchungsausschusses, der Mauscheleien von SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement bei der Oberhausener Trickfilmfirma aufklären soll, hat es Meyer vom wirtschaftspolitischen Sprecher binnen Halbjahresfrist zum Fraktionsvorsitzenden der NRW-CDU gebracht.
Ohne die Pleitenserie Clements in den letzten Monaten wäre der Karriereschub des Duos nicht möglich gewesen. Neben HDO hat vor allem die gescheiterte Fusion des Innen- und Justizministeriums plus anschließendem Rücktritt des designierten Justizministers Rauball das Image des SPD-Landesfürsten schwer angeschlagen – und damit das der gesamten Regierungsmannschaft. Laut einer WDR-Umfrage kommt die SPD derzeit auf 44 Prozent der Wählerstimmen – nur noch vier Prozent mehr als die neuerstarkte CDU.
Künftig, das weiß auch der grüne Koalitionspartner Roland Appel, ist Clement regelrecht „zum Erfolg verdammt“. Noch ein Skandal mehr, und der „Schnellschießer vom Rhein“, wie Rüttgers und Meyer den Landeschef bereits verspotten, müßte vermutlich die Koffer packen. Seine Herausforderer wittern in Clements Schwäche ihre Chance – und suchen ihr Heil entsprechend weniger in der Sachdiskussion als in polemischer Häme. Gern und oft verweisen dann ausgerechnet CDU-Politiker auf die Ära des Zauderers Johannes Rau, in der es „keine Sofortentscheidungen am Stammtisch“ gegeben hätte, wie es Meyer im Fall Rauball ausdrückte.
Der Spott ist Programm. Denn inhaltlich hat die CDU am Rhein ebenso wie auf Bundesebene dem politischen Gegner wenig entgegenzusetzen. Daß Clement ehrgeizig den Plan verfolgt, aus dem einstigen Zechenland einen hochtechnologisierten Wirtschaftsstandort zu machen, hält auch der ehemalige Zukunftsminister Rüttgers für „dringend nötig“. Daß Clement dazu just eine Verwaltungsreform vorantreibt, die das Bürokratie-Dickicht von 5.000 Landesbehöden entwirren soll, mag der Konkurrent ihm ebenfalls nicht übelnehmen. Und daß sich Clement in Fragen der Europapolitik gern mit dem CSU-Monarchen Edmund Stoiber abspricht, muß dem Christdemokraten nur recht sein.
Was Rüttgers zum Profilgewinn allein übrigbleibt, ist eine Formalkritik an den Umgangsformen. „Clements größtes Defizit“, resümiert er deshalb, „ist, daß er die Menschen nicht mitnehmen kann. Da knallt er den Landschaftsverbänden die Kündigung auf den Tisch und redet erst hinterher mit den Leuten.“
Rüttgers selbst, darf man annehmen, würde es ganz genauso machen, aber eben nur umgekehrt: Erst der Plausch mit den Verbänden, dann die Kündigung.
Auf Wählerfang frißt der CDU-Wolf am Rhein Kreide und präsentiert sich neuerdings auch beim Thema „Partnerschaft“ fast hippiemäßig tolerant. „Wir müssen heute zur Kenntnis nehmen, daß junge Leute durchaus konservativ wählen, aber schon vor der Ehe zusammenleben“, bilanziert Rüttgers, in dessen Wahlkampfpapier erstmals die Frage auftaucht, wie man alleinerziehenden Müttern helfen kann. Ein Punkt, bei dem Stammwähler dann schon mal entrüstet protestieren, weil sie „nicht verstehen können, wie Paare ohne Trauschein zusammenleben“.
Vielleicht protestieren die Stammwähler ja auch, weil sie im legeren „Rüttgers Club“ manchmal nicht mehr so recht wissen, ob sie nun bei einer SPD- oder einer CDU-Veranstaltung gelandet sind. Gisa Funck
Rüttgers' Mannschaft wittert in Clements Schwäche ihre Chance. Die SPD liefert eine Vorlage nach der anderen – die CDU muß nur noch zugreifen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen