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Die Zeit der Dürre ist vorbei

Die beiden deutschen Radprofis Steffen Wesemann und Uwe Ampler sind die großen Favoriten bei der heute beginnenden 52. Friedensfahrt von Znojmo nach Magdeburg  ■   Von Markus Völker

Was das Körpergewicht anbelangt, geht es Steffen Wesemann wie seinem Teamkollegen Jan Ullrich. Ähnlich dem Tour-Sieger von 1997 schleppt der untersetzte Wesemann in der Vorbereitung zum Saisonhöhepunkt mitunter ein Pfund zuviel über den Asphalt. Die Frage nach der Form beantwortet er dann auch so: „Das Gewicht ist gut.“ Was heißt, er fühle sich in „guter Verfassung“ und nähere sich seinem Idealgewicht von 72 Kilogramm. Kilos und Fitneß sollen stimmen, denn Wesemann will die Tour de France gewinnen. Zum vierten Mal. „Ich fahre da nicht hin, um Fünfter zu werden“, sagt der 28jährige. Natürlich überläßt Wesemann bei der echten Frankreichrundfahrt Ullrich den Vortritt, aber bei der „Tour de France des Ostens“, der heute beginnenden Internationalen Friedensfahrt also, fährt er „voll auf Angriff“.

Die Friedensfahrt gewinnt im Osten Deutschlands wieder stark an Renommee. Nach der Wende stand das Traditionsrennen vor dem Aus. Viele führen nun erneut den Vergleich mit dem spektakulärsten Radrennen der Welt im Mund. Auch der Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), Udo Reiter. Seine Sendeanstalt schloß einen mehrjährigen Partnervertrag mit der Friedensfahrt ab. Allseits wird versucht, dem verblaßten Mythos wieder Farbe und Kontur zu geben. DDR-Radsportgröße Gustav Adolf „Täve“ Schur – er gilt als der Retter der Friedensfahrt nach dem Mauerfall – begrüßt die mediale Mobilmachung. Die Friedensfahrt sei organisatorisch und sportlich „hervorragend“, sagt er, da sei es nur logisch, wenn die Öffentlichkeit dies honoriere. Matthias Schumann, Sprecher des Team Telekom, verwahrt sich indessen gegen den Vergleich mit der Tour de France, schließlich habe die Friedensfahrt 1989 ideologischen Ballast abgeworfen, da müsse nicht gleich neuer her. Aber auch Schumann sieht den Course de la Paix im Aufwind. „Die hat sich wieder sehr gut gefangen nach einer Zeit der Dürre.“

Steffen Wesemann sieht das Basteln an der Wiederauferstehung gelassen: „Ich bin zwar in der DDR mit der Friedensfahrt aufgewachsen, aber im Prinzip ist es ein Rennen wie jedes andere auch.“ Die Friedensfahrt hat in diesem Jahr starke Konkurrenz. Die Deutschlandtour beginnt zwei Wochen später (28. Mai. bis 3. Juni) und paßt vielen Radsportteams besser in die Saisonvorbereitung. Deswegen schickt Telekom auch nicht seine Spitzenkräfte zur Friedensfahrt, sondern startet neben Wesemann mit Klöden, Hondo, Baldinger, Frattini und Henn. „Viele haben befürchtet, die Deutschlandrundfahrt würde uns kaputtmachen“, sagt Maik Märtin vom Verein Internationale Friedensfahrt, „aber das wird nicht passieren. Die Friedensfahrt ist für den Ostteil, die Deutschlandrundfahrt mehr für den Westteil Deutschlands konzipiert.“ Das sieht auch Olaf Ludwig so. „Jeder kann voneinander profitieren“, meint der Ex-Telekom-Profi, „nur muß man wissen, daß die Friedensfahrt im Osten immer noch ein großes Ding ist.“

Der Etat von 3,5 Millionen Mark steht. Der Weltradsportverband UCI hat die Friedensfahrt aufgewertet (Ranking 2,4). Insgesamt werden 150.000 Mark an Preisgeldern an die Fahrer ausgeschüttet. Die 52. Ausgabe der Dreiländerfahrt geht diesmal über 1.612 Kilometer. Sie beginnt im mährischen Znojmo (Znaim), macht in Polen Station und endet mit der zehnten Etappe in Magdeburg. Profiteams wie Rabobank und TVM, Once und Festina haben gemeldet, trotz der Terminüberschneidungen mit höherwertigen Rennen wie der Tour de Romandie, den Vier Tagen von Dünkirchen und dem Giro d'Italia.

Ins Leben gerufen wurde die größte Amateurrundfahrt einst von der Sportredaktion der Trybuna Ludu, ehemaliges tschechoslowakisches Zentralorgan. Die polnische Rude Pravo zog nach. 1948 starteten in Warschau sechs und in Prag 14 Mannschaften zu zwei gegenläufigen Rennen. Vier Jahre später wurde auch das SED-Blatt Neues Deutschland Mitorganisator der Fahrt im Zeichen der Picassoschen Friedenstaube. Die Rennfahrer begaben sich nicht ohne politische Mission auf die Strecke zwischen den drei Hauptstädten. „Die friedliche Koexistenz zur Grundlage der Beziehungen zwischen den Staaten mit verschiedenen Gesellschaftsordnungen“ wolle man durchsetzen, war im ersten Paragraphen des Reglements von 1987 zu lesen.

Die Hunderttausende an der Strecke interessierte das weniger, spannender war da schon, ob die Sbornaja, das traditionell starke sowjetische Team, besiegt wurde und statt dessen die heimischen Fahrer triumphierten. Die Gewinner der Friedensfahrt waren Volkshelden: Täve Schur hießen sie, Hans-Joachim Hartnick und Falk Boden, Olaf Ludwig sowie Klaus und Uwe Ampler. Uwe Ampler ist auch diesmal dabei. Spätestens seit dem spektakulären Comeback des 35jährigen in der vergangenen Saison brummt die Friedensfahrt. Ampler kehrte nach dreijähriger Pause zum Radsport zurück. Im Trikot des polnischen Mroz-Teams hauchte er der Friedensfahrt durch seinen vierten Sieg wieder Leben ein. Zuletzt hatte der Leipziger 1989 gewonnen.

Für Zündstoff sorgte im vergangenen Jahr auch sein Duell mit Steffen Wesemann, der im Vorfeld einem Schweizer Boulevardblatt verriet: „Alle dürfen gewinnen – nur nicht der Ampler.“ Ampler hatte nach seinem Weggang vom Telekom-Team schwere Dopingvorwürfe gegen die Bonner Fernmelder gerichtet. Er sei ohne sein Wissen gedopt worden. Vor Gericht zog Amplers Belastungszeuge zurück. Keine Topmannschaft wollte den Paria der Radszene danach engagieren.

Die Wogen haben sich geglättet. Ampler meint, es werde keine Neuauflage des Duells Ampler – Wesemann geben. Man habe ein Bier miteinander getrunken, der Zwist sei „abgegessen“. Ob Ampler auf Sieg fahre? „Na klar, muß ich ja, ich will schließlich zum fünften Mal gewinnen.“ Olaf Ludwig, der die Rundfahrt als Radioreporter für den MDR begleitet, weiß: „Die zwei werden sicher keine Freunde mehr.“ Davon geht auch Wesemann aus. „No comment“, sagt er und will diesmal über Ampler lieber schweigen, da „die Worte eh nur im Mund rumgedreht werden“.

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