piwik no script img

Netzwerk gegen AltersdemenzWeinen, bis die Luft wegbleibt

■ In Stuhr und Weyhe gibt es jetzt ein Projekt gegen Altersdemenz

Eine Million Bundesbürger leidet an Alzheimer, Tendenz steigend. Und die Angehörigen leiden oft mit. Ihnen allen zur Hilfe haben ÄrztInnen, pflegende Angehörige, SozialarbeiterInnen, aber auch KrankengymnastInnen, TherapeutInnen und viele andere vor drei Monaten in den Gemeinden Stuhr und Weyhe ein Netzwerk gegründet.

Pro Dem heißt es und in dem Headquarter, einem Büro in Stuhr, sitzen Sozialarbeiterin Josefa Bolley und Altenpflegerin Gaby Schaper und managen das Netz (Tel. 04203/8062668).

Gestern stellten sie im Bremer Airport-Hotel das Projekt vor, um einmal mehr auf die Modekrankheit Alzheimer hinzuweisen – und auf die Überforderung der Angehörigen. Diese aber saßen nicht mit auf dem Podium, und so konnten sich die Profis gestern alleine auf die Schultern klopfen.

Jährlich 50.000 neue „Fälle von Demenz“, so betonte ein Vertreter der anwesenden Pharmafirma Schwabe, gäbe es in Deutschland – die Hälfte von ihnen allen wären Alzheimer-Patienten.

Die Karlsruher Firma durfte gestern mit am Konferenz-Tisch sitzen, weil sie Pro Dem maßgeblich sponsort. Rückzug, Depression, Wahnvorstellungen – vor allem aber die Niedergeschlagenheit und Aggressivität der Kranken macht den Angehörigen schwer zu schaffen. Längst kann die Deutsche Alzheimergesellschaft die Anfragen der Betroffenen nur noch registrieren. Doch nicht nur Angehörige sind oft überfordert, auch Ärzte. Denn Demenz läßt sich im Anfangsstadium kaum von einer Depression unterscheiden und die therapeutischen Möglichkeiten sind gering.

Diesen Mißständen will „Pro Dem“ jetzt entgegentreten. 20 Ärzte sind in „Pro Dem“ organisiert und versprechen bessere Früherkennung und Versorgung als bisher.

Neben der Vernetzungsarbeit springen die Koordinatorinnnen Bolley und Schaper dann schon mal persönlich ein, wenn ein Angehöriger kurz etwas Persönliches erledigen muß. Sie klären Ärzte auf und entwickeln gemeinsam mit ihnen Test- und Dokumentationsstandards. Der Stuhrer Arzt Eberhard Hesse findet, er „lerne jetzt, genauer hinzuschauen.“

Wissenschaftler aus dem Göttinger Institut für angewandte Qualitätsförderung begleiten das Projekt und haben herausgefunden, daß zwei von drei der pflegenden Angehörigen sich derzeit überfordert fühlen und etwa 56% von ihnen Tag und Nacht mit der Pflegearbeit beschäftigt sind. Und daß sich viele einen Gesprächskreis wünschen.

„Geplant ist jetzt“, so Hesse, „das Projekt zum 'Verkaufsmodell' zu entwickeln: Wir müssen so gut sein, daß die Krankenkassen unser Modell in die Grundversorgung aufnehmen müssen.“ Liane Aiwanger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen