: „Ziel muß sein, die Chaoten zu isolieren“
■ Der Berliner Innensenator Eckart Werthebach (CDU) zieht nach den Krawallen bei der 1.-Mai-Demonstration Bilanz: Er will am Anti-Gewalt-Konzept festhalten, ohne den Polizisten die Hände an die Hosennähte legen zu lassen, denkt an Platzverbote und einen verlängerten Unterbindungsgewahrsam
taz: Herr Werthebach, Sie haben die selbst gesetzte „Feuertaufe“ am 1. Mai nicht bestanden. Es gab in der Stadt wieder Krawalle wie in jedem Jahr. Warum ist es nicht gelungen, die von Ihnen vorgegebene Strategie der Deeskalation durchzuhalten?
Eckart Werthebach: Daß ich die „Feuertaufe“ nicht bestanden habe, ist Ihre Auffassung, nicht die der großen Mehrheit. Ich benutze nicht gerne den mißverständlichen Begriff Deeskalation.
Man kann das, was die Polizei und ich als Innensenator in diesem Jahr wollten, am besten mit einem Anti-Gewalt-Konzept umschreiben. Die Polizei hat sich einiges Neues einfallen lassen. Wir sind im Vorfeld auf die Bevölkerung, die Medien und auf die Politik zugegangen und haben vermittelt, was es mit diesem Anti-Gewalt-Konzept auf sich hat.
Mein Kerngedanken war: Es kann ja wohl nicht angehen, daß in jedem Jahr in Berlin „revolutionäre Mai-Feierlichkeiten“ durchgeführt werden, die in Chaostagen enden. Ich akzeptiere das nicht und werde das auch in Zukunft nicht akzeptieren.
Aber es ist doch gerade wieder schiefgegangen.
Nein, Sie müssen alle fünf Aufzüge bewerten – vier davon waren friedlich!
Ich weiß, daß es eine Chaotengruppe in dieser Stadt gibt, die andere Ziele hat als einen friedlichen 1. Mai. Diese 400 bis 500 werde ich mit einem Anti-Gewalt-Konzept nicht ansprechen können. Das sind diejenigen, die alkoholisiert mit Steinen, Wurf- und Feuerwerkskörpern bewaffnet sind und letztendlich die Krawalle auslösen. Es ist fatal, wenn hier Täter und Opfer vertauscht werden. Dazu kommt der Krawalltourismus. Wichtig ist, die Mitläufer zu erreichen und die Chaoten zu isolieren. Das führt zum Erfolg.
Es gibt ja auch beachtliche Stimmen, die das Demonstrationsrecht in diesem Fall in Frage stellen. Die nicht mehr hinnehmen wollen, was unter dem Deckmantel dieses Rechts jedes Jahr geschieht. Die von der Polizei erwarten, daß diese konsequenter eingreift.
Es war abzusehen, daß ein harter Kern von DemonstrantInnen mit dem Anti-Gewalt-Konzept nicht zu erreichen ist. Es hat nicht funktioniert. Auch ihr Medien-Konzept ist nicht aufgegangen. Die Medien beschäftigen sich jetzt in erster Linie mit den Übergriffen durch Polizeibeamte.
Das Konzept hat im großen und ganzen funktioniert. In Teilen ist es nicht so abgelaufen, wie ich es mir gewünscht habe. Es sind Personen verletzt worden, und es ist zu Sachbeschädigungen gekommen. Dennoch: das Konzept ist stimmig.
Der kritische Punkt am 1. Mai war, als es um 20.30 Uhr am Kottbusser Damm in Kreuzberg zu ersten Stein- und Flaschenwürfen kam. Die Polizei hat sofort massiv eingegriffen. Direkt danach ging die Straßenschlacht los. Hätte die Polizei mit einem maßvollen Eingreifen nicht eine Eskalation vermeiden können?
Ich lehne es ab, dem Einsatzleiter Vorschriften zu machen, wie er den Einsatz zu führen hat. Ich formuliere nur meine politische Zielvorgabe, wohl wissend, das eine ist Theorie, in der Praxis sieht es anders aus. Ich kann aber auch keine Vorgabe machen, die lautet: Selbst wenn ihr mit 20 oder 40 Steinen beworfen und verletzt werdet, haltet ihr die Hände an der Hosennaht. Damit würde ich meine Aufgabe als Innensenator verfehlen.
Nach dem, was ich gesehen habe, war es richtig, daß die Polizei eingegriffen hat.
Der SPD-Abgeordnete Hans-Georg Lorenz hat Vorwürfe erhoben, daß eine bestimmte Polizeieinheit besonders hart zugeschlagen hat.
Wenn das heißen soll, daß bestimmte Einsatzhundertschaften besonders hart reagieren, akzeptiere ich das nicht. Es gibt eine Anzeige eines Polizisten gegen einen Kollegen, der eine Demonstrantin so hart auf den Kopf geschlagen hat, daß sein Schlagstock zerbrach. Diesen Vorwürfen muß selbstverständlich ohne Ansehen der Person nachgegangen werden.
Es gibt einen offenen Brief von neun Journalisten an Sie, die den Vorwurf erheben, sie seien durch Polizisten verletzt worden, obwohl sie als Journalisten zu erkennen waren.
Wir fordern betroffene Journalisten auf, eine Anzeige zu erstatten und Roß und Reiter zu benennen.
Die Journalisten unter anderem von Spiegel-TV, „Stern“ und „Welt“, äußern den Eindruck, daß sie „nicht aus Versehen etwas abbekommen“ hätten.
Ich sage Ihnen, wir gehen allen Vorwürfen nach.
In der Nacht zum 1. Mai, als Auftakt zum Wochenende, hat die Polizei rund 350 DemonstrantInnen im Anschluß an eine Straßenaktion in Prenzlauer Berg eingekesselt und erst nach Stunden mitten in der Nacht freigelassen. Das hat die Stimmung aufgeheizt.
Der Sachverhalt ist: Die Jugendlichen haben die Straße gesperrt. Der Verkehr kam völlig zum Erliegen, acht Straßenbahnen stauten sich auf. Der Direktionsleiter hat achtmal aufgefordert, die Kreuzung zu räumen. Daraufhin sind die Damen und Herren in eine Nebenstraße abgedrängt und eingeschlossen worden. Das war kein Kessel. Jeder, der mal austreten mußte, konnte die „Einschließung“ dafür kurzzeitig verlassen. Wenn sie 350 Leute erkennungsdienstlich erfassen, geht das nun einmal nicht in Blitzesschnelle.
Wenn Sie sagen, es ist von diesem Einsatz etwas übergesprungen auf den Samstag, ist das eine Behauptung, die Sie nicht beweisen können.
Welche Konsequenzen ziehen Sie aus dem 1.-Mai-Wochenende für das nächste Jahr?
Das Gesamtkonzept ist aufgegangen, dafür sprechen auch die Abläufe. Ich habe durchaus Vorstellungen, wie man aus den 1.-Mai-Feierlichkeiten Demonstrationen machen kann, die friedlich verlaufen. Offensichtlich reicht ein Anti-Gewalt-Konzept allein nicht. Es genügt nicht, auf den guten Willen der Beteiligten einzugehen, weil in diesem Demonstrationsaufzug ein harter Kern ist, der mit verständnisvollen Worten nicht zu erreichen ist. Die Frage ist also: Wie kann man erreichen, daß diejenigen, die demonstrieren wollen, zu ihrem Recht kommen?
Denken Sie hierbei auch an Platzverbote, die vergangene Woche in das Berliner Polizeigesetz aufgenommen wurden?
Natürlich denke ich daran. Aber wir brauchen ein Gesamtkonzept, das ich nicht erläutern will.
Das eigentliche Ziel muß sein, diese 400 oder 500 Chaoten, die Gewalt wollen, zu isolieren.
Sie haben direkt nach dem 1. Mai gefordert, den bisher in Berlin auf 24 Stunden beschränkten Unterbindungsgewahrsam auf zwei Wochen zu verlängern. Reden wir davon?
Damit verkürzt sich die Debatte darauf, als sei die Situation mit einem Unterbindungsgewahrsam in den Griff zu kriegen. Es braucht ein Gesamtkonzept.
Wie oft wird denn derzeit der 24stündige Unterbindungsgewahrsam angewandt? Fast nie, wie SPD-Innenpolitiker konstatieren?
Im Moment haben wir in erster Linie den Unterbindungsgewahrsam angewandt, um Straftaten zu verhindern. Wenn eine Straftat begangen wurde und weitere zu befürchten sind, kann der Festgenommene bis zum Ende des folgenden Tages in Anschlußgewahrsam genommen werden.
Fordern Sie also einen verlängerten Unterbindungsgewahrsam oder nicht?
Man muß die Diskusson viel breiter führen. Ziel muß sein, diese 400 bis 500 Chaoten im Vorfeld an Straftaten zu hindern. Dabei ist der Unterbindungsgewahrsam nur eine von mehreren Maßnahmen. Eine Verlängerung der Frist werde ich zunächst mit meinen politischen Freunden erörtern.
Von welchen Maßnahmen sprechen Sie?
Präventive polizeiliche Maßnahmen.
Und welche?
Dazu werde ich nichts über die Medien verbreiten.
Gehen wir die Frage also anders an. Sind die 400 bis 500 Personen, von denen Sie sprechen, zu identifizieren? Weiß die Polizei, um wen es sich dabei handelt?
Wir kennen einen Teil. Ich meine aber, daß es da noch Nachholbedarf gibt. Das wird sicherlich auch Teil des Gesamtkonzeptes sein.
Das Berliner Abgeordnetenhaus hat mit den Stimmen der Großen Koalition in der letzten Woche das Polizeigesetz verschärft und eine lagebildabhängige Schleierfahndung sowie Platzverbote beschlossen. Fordern Sie noch weitere Gesetzesverschärfungen?
Ich hätte zusätzliche Wünsche, bin aber Demokrat und als solcher muß ich Mehrheitsentscheidungen respektieren und akzeptieren.
Einzelne CDU-Innenpolitiker wollen die Polizei mit Gummigeschossen ausrüsten. Wird es darüber eine öffentliche Diskussion geben?
Öffentlich wird diese Debatte sicherlich nicht geführt. Ich denke aber nicht, daß wir uns in diese Richtung bewegen.
Das Parlament hat auch die Umwandlung der Freiwilligen Polizeireserve in einen Freiwilligen Polizeidienst beschlossen. Die Gewerkschaft der Polizei befürchtet, daß wegen unklarer Formulierungen im Gesetz diese Hilfssheriffs auch allein Verkehrskontrollen und Streifendienst machen. Können Sie garantieren, daß es dazu nicht kommt?
Die Mitarbeiter des Polizeidienstes nehmen gesetzlich bestimmte Aufgaben wahr, aber sie haben keine Befugnisse wie die Vollzugspolizei. Sie könnten keine Personenkontrollen unterstützen und haben praktisch nicht mehr Kompetenzen als eine Politesse.
Es gab erhebliche Bedenken wegen dieses Polizeidienstes. Der Chef der Polizeigewerkschaft ist deswegen sogar aus der SPD ausgetreten.
Auf Berlin kommen zusätzliche Sicherheitsaufgaben zu. Ich brauche jede Unterstützung. Wäre es Ihnen lieber, wenn ich einen privaten Wachdienst damit beauftrage? Ich halte die Freiwillige Polizeireserve für sehr hilfreich; im übrigen: Kein Kommentar.
Was haben Sie noch vor, wenn Sie nach der Wahl im Herbst Innensenator bleiben sollten?
Ob Sie's glauben oder nicht, ich bleibe ein liberaler und toleranter Mensch.
Gut. Wie sehen Ihre Pläne aus?
Hauptaufgabe ist unzweifelhaft, die innere Sicherheit zu gewährleisten. Mir liegt daran, daß das Sicherheitsempfinden der Berliner Bürgerinnen und Bürger verbessert wird. Zum Beispiel in U- und S-Bahn. Hier will ich die begonnenen Ermittlungs- und Einsatztruppen auf mehr Prävention umstellen.
Was mir außerdem am Herzen liegt, ist die zunehmende Gewaltbereitschaft in der Straßenkriminalität. Dagegen kann nur etwas bewerkstelligt werden mit „mehr Grün auf die Straße“. Ein weiterer Schwerpunkt sind Rauschgiftdelikte. Ich wende mich weiter gegen eine staatliche Heroinabgabe. Ich möchte auf jeden Fall die psychosoziale Betreuung der Abhängigen vorantreiben. Die ist nach all meinen Erfahrungen das ganz Entscheidende. Ich will nicht zulassen, daß wir eine offene Drogenszene beklagen müssen wie in Hamburg und Frankfurt.
Und wollen Sie nach den Erfahrungen auch des Wochenendes Innensenator bleiben?
Warum nicht? Interview: Barbara Junge und Dorothee Winden
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