: Wettlauf ist nicht zu gewinnen
Das Wundermittel Antibiotikum versagt zunehmend gegen bakterielle Erreger. Es wird Kranken so häufig verabreicht, daß die Bakterien resistent werden ■ Von Ole Schulz
Ähnlich teuer wie Gold war das Mittel einst, und nur wenige Kranke konnten es sich leisten. Als dann Mitte unseres Jahrhunderts seine industrielle Massenproduktion begann, schien sich ein goldenes Zeitalter ohne Seuchen anzubahnen. Die winzigen Krankheitserreger, die schon Milliarden Jahre vor dem ersten Menschen auf der Erde lebten, erwiesen sich jedoch als listige Mikroorganismen: Sie paßten sich an und wurden resistent gegen jene Arzneien, die ihnen den Garaus machen sollten. Ein Kreislauf begann, der dem Wettlauf von Hase und Igel gleicht. Heute weiß man, daß die Bakterien die Erfahrungen mit ihren Killer-Arzneien sogar von einer Art zur anderen austauschen.
Die Rede ist von den Antibiotika, den Wundermitteln gegen bakterielle Infektionen. Per Zufall hatte der britische Wissenschaftler Alexander Fleming 1928 mit Penicillin das erste Antibiotikum entdeckt, kurz nach Kriegsende gingen Antibiotika in Serienproduktion. Mitte der 50er Jahre wurden in den USA eine Million Kilogramm Antibiotika hergestellt, heute ist es bereits die 25fache Menge, dazu kommt eine ähnliche Tonnenlast in der Tiermast. Doch je mehr der Mensch Antibiotika schluckt oder über die Tierzucht in die Nahrung einspeist, desto widerstandsfähiger werden die Bakterien.
Auf den Intensivstationen vieler Krankenhäuser häufen sich Fälle von Schwerstkranken, die mehrfach resistenten Bakterien erliegen. Zuletzt starb in Hongkong Mitte Februar eine krebskranke Frau an eiterbildenden Staphylococcus-aureus-Erregern, gegen die auch das starke Reserveantibiotikum Vancomycin nicht mehr half. Jährlich sterben – vor allem in den armen Ländern – wieder mehr als zehn Millionen Menschen an altbekannten Infektionskrankheiten wie Tuberkolose, Malaria, Cholera, Diarrhoe oder an einer Lungenentzündung. Bei Tuberkolose müssen sechs Monate Antibiotika eingenommen werden – weltweit können sich das nur wenige leisten. In den Industrieländern beschränkt sich das Problem bislang noch auf resistente Bakterienstämme bei Kranken mit geschwächten Immunsystem.
Die Geschichte resistenter Bakterien ist fast so alt wie das Gegenmittel selbst: Kurz nachdem 1946 dem ersten Kranken Penicillin gegen eine Blutvergiftung gegeben wurde, entdeckte man immune Bakterien. Mitte der 70er Jahre verbreiteten sich schließlich auf der ganzen Welt resistente Stämme von Neisseria-gonorrhoeae-Bakterien. Ein Ausgangspunkt waren die Philippinen, wo US-Soldaten und Prostituierte zur Vorbeugung gegen den Tripper-Erreger routinemäßig Antibiotika verabreicht bekommen hatten.
Ursprünglich sind Antibiotika natürliche Gifte, mit denen sich zum Beispiel Schimmelpilze gegen andere Mikroorganismen wehren. Der Mensch machte sich die Fähigkeit dieser Schimmelpilz-Derivate zu nutze, daß sie die Zellteilung krankheitserregender Bakterien blockieren oder ihre Zellwände durchlöchern. Letztendlich töten die Antibiotika lebende Zellen, obwohl der Mensch auf viele von ihnen angewiesen ist – ohne die Millionen von im Darm lebenden Bakterien könnten wir nicht einmal verdauen. Wenn wir das Gleichgewicht der „die Basis unseres Leben bildenden Mikroorganismen“ dadurch stören, so der griechisch Homöopath Georgos Vithoulkas, „daß wir diesen 'Schimmel‘ ständig in uns hineinfüllen, wird unserer Organismus selbst 'schimmelig'“. Der sprunghafte Anstieg von Pilzkrankheiten stehe ebenso in direkter Verbindung mit einem übermäßigen Antibiotika-Konsum wie der allgemeine Verfall des Immunsystems, sagt nicht nur Vithoulkas.
Doch weil viele Ärzte Antibiotika wie Bonbons verordnen, muß man sich als Patient häufig gegen den behandelnden Mediziner zur Wehr setzen, wenn man nicht gleich zur Chemo-Keule greifen will. Wer sich im Winter einen Schnupfen zuzieht, sollte nicht gleich Antibiotika nehmen: Häufig ist man nur an einem Virus erkrankt, dem Antibiotika ohnehin nichts anhaben, und sollte den Infekt ganz in Ruhe auskurieren.
Mit dem Siegeszug der vermeintlichen Wunderwaffe Antibiotikum gerieten auch jahrhundertealte natürliche Heilmittel in Vergessenheit. Die Nachfrage nach dem australischen Teebaumöl ging etwa von weltweit hundert Tonnen in den 20er Jahren auf zehn Tonnen 1985 zurück. Erst durch die langsam dämmernde Erkenntnis, daß die chemische Medizin nicht alle Probleme lösen kann, besinnt man sich wieder auf das „grüne Gold“ – Teebaumöl hat eine antibakterielle wie fungizide Wirkung und hilft bei eitrigen Wunden, Herpes, Vaginalmykosen oder Atemwegsinfektionen. In Deutschland machen die Apotheken inzwischen fast zwei Milliarden Mark Umsatz pro Jahr mit sogenannten Phytopharmaka – das sind immerhin acht Prozent der gesamten Arzneimittelverkäufe.
Den Zweikampf gegen die Bakterien wird der Mensch niemals endgültig gewinnen können, zu anpassungsfähig sind die Mikroorganismen. Dennoch sind Antibiotika aus der Hochleistungsmedizin nicht mehr wegzudenken. Häufig sind sie das letzte Mittel, um Kranke mit einem schwer geschädigten Immunsystem am Leben zu erhalten, Patienten nach Organtransplantationen oder Krebskranke nach der Chemotheraphie – bei solchen Risikopatienten treten vor allem auch mehrfach resistente Bakterien auf. Ein weiteres Einfallstor für Keime sind Venenkatheter und körperinnere Prothesen wie künstliche Gelenke und Herzklappen. Gleichzeitig verdichten sich von Jahr zu Jahr die Hinweise, daß Arterienverkalkung, die eine der Hauptursachen für Herzinfarkte darstellt, in Zukunft mit Antibiotika behandelt werden könnte. Die Spirale wird sich weiter drehen.
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