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Kriegsfilm mit Überlänge

Der Ton ist verschwunden, die Bomben explodieren stumm. Anmerkungen zum „sauberen Krieg“ und seinen Bildern. Die täglichen Nato-Pressekonferenzen ähneln immer mehr den Präsentationen von Art-directors und Managerschulen  ■   Von Thomas Schunke

Bilder von Kriegen waren immer vonnöten, sei es zur Demonstration von Sieg und Macht oder Niederlage und Ohnmacht. Was zählt, ist nicht allein die Nachricht von der kriegerischen Handlung und ihrem Resultat, sondern der Beweis der Bilder eines Krieges. Schlachtengemälde und Panoramen machten diese Handlungen repräsentierbar und geschichtsfähig. Seit 100 Jahren wird diese Wahrnehmung über Wochenschauen, Vietnam und High-Tech-Kriegsfilme verfeinert. Der Vietnamkrieg war das erste war serial mit den höchsten Einschaltquoten und einem höheren Prozentsatz an zivilen Toten als an gefallenen Soldaten.

Zwar geht es jedem Krieg um analoge Vernichtung von Material und Leben, doch seit dem Einsatz digitaler Waffen, d. h. seit dem Golfkrieg, hat sich das Bild des Krieges geändert. Eine Kamera schultert sich zwar noch immer wie eine Panzerfaust. Doch heute machen die Waffen ihre eigenen Bilder – im Kino nennt man dies Subjektiven –, und sie senden diese Bilder zurück. Als mobile Wegwerffernsehstationen mit Kamikazekameras zerstören sie sich mit dem Erreichen des Ziels selbst.

Oder das Aufnehmen eines Bildes wird direkter Teil eines Waffensystems, wie bei den laserstrahlgesteuerten Bomben. Das Zielobjekt wird vom Flugzeug aus mit einer elektronischen Kamera anvisiert, dessen Bild es erlaubt, den Laser zu positionieren, auf dessen Strahl die Bombe zum Ziel geleitet werden soll. Dieses Bild ist Modell und Beweis und wird selber zum medialen Objekt.

Mit dem Krieg der Nato gegen die Serben stehen sich der Begriff der „ethnischen Säuberung“ und der des „sauberen Krieges“ gegenüber. Die mitgelieferten schwarzweißen Beweisbilder haben einenTechnisches-Labor-Charakter. Der Ton ist verschwunden, die Bomben auf den Aufnahmen, die das Pentagon zeigt, explodieren stumm. Das steht im Gegensatz zu den hyperrealistischen Kriegsopern von Spielberg und Malick, wo die MG-Salven gleich kosmischen Gewittern über uns kommen, wo der Schlamm seufzt und die Gräser flüstern.

Vom „chirurgischen Krieg“ wird geredet – präzises Entfernen des Tumors am Körper des Feindes, Makro-Nahkampf, nicht mehr das Weiße im Auge, sondern die Poren der Haut. Und tatsächlich ähneln diese Kriegsbilder den Echographien und subjektiven Travellings, die die Ärzte in unseren Körpern drehen.

Nein, die Piloten träfe keine Schuld, sagt General Clark. Schauen Sie, gemäß ihrem Auftrag hätten sie das eigentliche Ziel, die Brücke, anvisiert und plötzlich der Bus ... er war off the screen, sie konnten ihn nicht sehen, ihr Bild war zu klein ...

Das heißt, daß die Piloten nicht mehr die reale Landschaft als Referenz ihrer Vision nutzen, sondern ein elektronisches Bild davon. Und beim Betrachten der Sequenz, denn es handelt sich um eine solche – Totale der Brücke und Ransprung mit dem Teleobjektiv auf den Brückenkopf –, kommt der Verdacht auf, daß es sich quasi um die Konsequenz einer gewählten Kameraästhetik handelt.

In der Teleaufnahme, die den Raum perspektivisch komprimiert – im Gegensatz zum Weitwinkel, der ihn eben ausweitet –, befand sich der Bus im Off. Das bewußte Handwerk von Kameraleuten ist unbewußtes Kriegshandwerk geworden. Und so entscheiden in diesem Krieg nicht nur die „sauberen“ technischen Strategien über Leben und Tod, sondern auch deren Ästhetik.

Ein General zeigt die stumme Aufnahme der Zerstörung einer anderen Brücke. Hier B, das ist der Einschlagpunkt, hier A, da waren Leute, es gab keine Verletzten. Das Bild explodiert, die Rauchwolke in schwarzen und weißen Flashs – der Pilot schaltet zwischen Negativ und Positiv, erklärt der General. Wer waren diese Leute auf der Brücke, fragt man ihn. Ich weiß nicht, ob sie da spazierengingen oder Teil einer Protestaktion waren, sagt er.

Der Mensch verschwindet in diesen Bildern. Um so bedeutender wird er in anderen. In der audiovisuellen Gegendarstellung des Belgrader Fernsehens tanzt eine Folkloregruppe auf einer Brücke, Menschenketten mit „Targets“ und Sprechchören. Fast gutgelaunte Massen, die den leidenden Massen der Flüchtlinge gegenüberstehen und sich ins Raster der Täter-Opfer-Schiene der Medien einbauen. Die drei gefangenen US-Soldaten waren für die Serben nur ein naiver Triumph. Denn die Bilder der drei dienten dem westlichen Bündnis der Individualisierung ihrer eigenen Beteiligten. Die Serben und Kosovaren bleiben dagegen eine Masse, sowohl als Gegner wie als Opfer.

Ich kann Ihnen nichts über die Herkunft dieser Bilder verraten, sagt der General zu den Journalisten. Nein, sie sind nicht vom Pentagon. Es ist so, als würde er sagen: Glauben Sie mir trotzdem. Lange Rechtecke, ein Komplex – Kasernen, sagt der General. Wenn er das Wort coverage benutzt, redet er über den Sättigungsgrad eines Bombenteppichs, nicht wie einer vom Fernsehen, der die Abdekkung eines Ereignisses meinen würde.

Die schwarzweißen Bilder sind taghell, doch der Angriff war bei Nacht. Wir haben Geräte, die uns erlauben, in der Nacht wie am Tag zu sehen, sagt der General. Waren Leute in den zerstörten Kasernen, wird er etwas später gefragt. Ich kann es Ihnen nicht sagen, antwortet er, es war ja Nacht.

Aber es gibt auch noch andere Bilder als die der Waffen, die uns von den Generälen mit Zeigestökken erklärt werden. Solche von richtigen Menschen, mit Kameras gemacht. Die Interpretation dieser Bilder ist Aufgabe der Fernsehjournalisten. Eine Kindermütze, die auf einem Ast hängt. Ein blut- und schlammbeflecktes T-Shirt. Ein einzelner Schuh im noch winterbraunen Laub. Stilleben, nature morte. Deuten solche symbolischen Videobilder aus dem Kosovo – Herkunft unbekannt, steht auf dem Begleitpapier – auf ein eventuelles Massengrab hin, wie angedeutet wird?

Die Alliierten suchen dieses fehlende Bild des Puzzles auf ihren Satellitenbildern, das missing link in der Beweiskette von Angreifern, die mit Waffengewalt Menschenrechte schützen wollen. Die Bilder der Flüchtlinge haben die Franzosen von der Notwendigkeit dieses Krieges überzeugt, sagt ein französischer Meinungsforscher. Zwei Motive finden sich am häufigsten auf den Titelseiten, die die muslimischen Flüchtlinge in christlicher Ikonographie präsentieren. Gruppen von Frauen und Kindern, an deren Spitze alte Männer mit Bärten und Stöcken gehen, die wie die biblischen Bilder vom Exodus wirken. Und Mariendarstellungen von Müttern und Kindern. Der auf religiösen Unterschieden basierende Krieg ist auch ein Glaubenskrieg der Bilder und ihrer Konnotationen.

„Not so fast please with the slides“, sagt General Freytag, der zuerst die humanitären und dann die militärischen Ergebnisse des Tages vorstellt. Die Pressekonferenzen beginnen den Präsentationen von Art-directors oder Managerschulen zu ähneln. Zwischen den bläulichen und schwarzweißen Bombardierungsbeweisen werden bunte Schrifttafeln eingeblendet. „We are winning, he is losing“, steht da zum Beispiel. Es ist klar, wer gemeint ist: wir, die internationale Gemeinschaft, er, Miloevic. Seine Überindividualisierung wird zum abstrakten Nenner, die den konkreten Bildern der Bombardierungen des jugoslawischen Fernsehens gegenüberstehen und die jetzt in den europäischen Medien zu sehen sind. Der symbolische Krieg der Bilder bewegt sich zwischen den visuellen Fronten von Abstraktion und Konkretion. Zerborstener Stahlbeton ruft zu Spenden für die Flüchtlinge auf, es ist ein abstrakt expressionistischer Blutfleck zu sehen.

„Continued damage“, so lautet die Devise, mit der die Bombardierungen verstärkt fortgeführt werden. Gleichzeitig stellt sich eine Routine und Normalität des Kriegszustandes ein. Dieser Eindruck wird vor allem dadurch erzeugt, daß der Konflikt im Kosovo und der Krieg gegen Jugoslawien anderen Schlagzeilen und Bildern Platz macht, wie z. B. dem Massaker, das zwei jugendliche Neonazis zu Hitlers Geburtstag in einer amerikanischen Schule verübten. Ein Ereignis, das den serbischen Medien dazu dient, den Krieg als Ablenkungsmanöver von den eigenen internen Krisen Amerikas darzustellen.

„Wir befinden uns in den ersten fünfundzwanzig Minuten eines zweistündigen Kinofilms“, sagte Kenneth Bacon, der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums. „Wer will so früh schon den Ausgang voraussagen?“ Auf offizieller Seite redet man nicht von einem Krieg, es fallen Begriffe wie Sanktion, militärische Strategie, Schutz der Menschenrechte. Sollte der Satz von Kenneth Bacon die Antwort darauf sein, was dieser Krieg eigentlich ist, ein Film mit Überlänge? Ein audiovisuelles Spektakel, an dem man identifikatorisch beteiligt ist? Der Krieg scheint kathartische Wirkung für mehrere Beteiligte zu haben: Den Franzosen und Engländern etwa verhilft er zu einem langersehnten Aufholen gegenüber der Dominanz der USA in bezug auf militärische Interventionen. Den Deutschen gibt er das Gefühl, einmal auf der richtigen Seite zu stehen und nicht immer das Schwein mit dem fiesen Akzent zu sein. Die USA übernehmen die Rolle des Producers mit dem Recht auf den final cut. Den Russen bleibt die Funktion der ewigen Außenseiter. Selbst die Nebenrolle Neutralität hat für die Schweizer einen versöhnlerischen Wiedergutmachungseffekt, schließlich wurde ihr Bild durch die Machenschaften mit jüdischen Fonds und die Ablehnung von Flüchtlingen geschwärzt. Diesmal auch, wenn es in bezug auf die Abwicklung der Flüchtlingsströme nur zäh vonstatten ging, soll es keine Vorwürfe geben.

Es ist geschmacklos, das Bild des Krieges als Kinofilm weiterzuführen und so die flüchtenden Kosovaren als schlechtbezahlte Statisten zu sehen. Ein Bild, das zu Anfang des Krieges über die Satellitenkanäle die Fernsehstationen erreichte, paßte nicht zu der Opferfunktion. Die Aufnahmen zeigten mit weggeworfenen Lebensmittelrationen verstopfte Wasserkanäle eines Flüchtlingslagers, Familien, die diese Eintagesrationen – „tomatoes and peas“ war darauf zu lesen, „a gift of the people of the United States of America“ – als Brennmaterial für ihre Lagerfeuer benutzen. In Interviews beschwerten sich Männer und Frauen, daß diese Rationen ungenießbar seien und den Kindern davon schlecht werde. Wie undankbar, denkt der Zuschauer. Krieg, das zeigen die Bilder davon, ist nicht nur die Zerstörung von Dingen und das Töten von Menschen, es ist auch die materielle und symbolische Einmischung in andere Kulturen.

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