■ Kommentar: Nur noch 30 Jahre hinterher Der Bundestag beschließt den Kompromiß zum Staatsbürgerschaftsrecht
Eine erleichterte Einbürgerung, das Geburtsrecht auf einen deutschen Paß für hier geborene Kinder sowie die Hinnahme von Mehrstaatlichkeit – das waren die entscheidenden Kriterien für ein zeitgemäßes Staatsangehörigkeitsrecht. Die beiden ersten Punkte werden durch die gestern vom Bundestag beschlossene Neuregelung zum Teil erfüllt. Freilich bleibt der Entscheidungszwang für einen Paß mit 23 Jahren – das sogenannte Optionsmodell – ein dicker Wermutstropfen: Er wird zu einer Belastung für junge MigrantInnen, weil er Konflikte innerhalb der Familien programmiert. Zudem bedingt er eine umfangreiche Ausbürgerungsbürokratie.
Die generelle Hinnahme von Mehrstaatlichkeit war nach der Unterschriftenkampagne der Union schlicht nicht durchsetzbar. Das neue Staatsbürgerrecht ist dennoch in diesem Punkt ein Fortschritt, weil die Ausnahmen zugunsten von Mehrstaatlichkeit erheblich erweitert werden – zum Beispiel für Flüchtlinge.
Die Hinnahme von Mehrstaatlichkeit beugt, nach langjährigen internationalen Erfahrungen, Konflikten in den Migrantenfamilien vor. Gerade für die Menschen der ersten Migrantengeneration wäre das Angebot der Mehrstaatlichkeit wichtig gewesen, denn gerade dieser Generation fällt es schwer, den Paß des Herkunftslandes abzugeben. Leider geht das neue Staatsbürgerschaftsrecht kaum auf diese Bedürfnisse ein. So wurde eine Chance versäumt, Brücken zu bauen. Dabei trägt die generelle Hinnahme von Mehrstaatlichkeit nachweisbar zum inneren Frieden bei, weil die Überidentifikation mit Konflikten im Herkunftsland spürbar abgemildert wird. Wer sich durch ein liberales Recht willkommen und nicht abgelehnt fühlt, verliert zwar nicht das Interesse an Ereignissen im Herkunftsland. Aber der Fanatismus und die Neigung zur gewalttätigen Konfliktverlagerung ins Zuwanderungsland reduzieren sich in allen Generationen ganz erheblich – dies wurde beispielsweise für MigrantInnen in den Niederlanden nachgewiesen. Bisher hinkte das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht 86 Jahre hinter dem Standard in der EU hinterher. Jetzt sind es „nur“ noch 30 Jahre. Das ist, gemessen an den Notwendigkeiten, ein bescheidener Schritt – aber immerhin. Özlem Isfendiyar
Die Autorin hat lange mit Flüchtlingen gearbeitet und ist im Parteirat der Grünen Baden-Württemberg Bericht Seite 8
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