Meister des Etikettenschwindels

Drei Spieltage vor Ende der Bundesligasaison reicht dem FC Bayern München ein 1:1 gegen Hertha BSC zum Gewinn einer zwangsläufigen Meisterschaft   ■  Aus München Fred Stein

Auf einmal war diese Freude da im Münchner Olympiastadion, von einer Sekunde auf die andere. Schlußpfiff. Eins-eins gegen Hertha BSC. Punktgewinn, der letzte notwendige zum Titel. Und die Profis des FC Bayern München wurden ein bißchen ausgelassen.

Musik spielte, „We are the Champions“ von Queen, wie es in solchen Momenten unvermeidlich ist. Ehrenrunden gab es, gelaufen, wahlweise gegangen von den Profis, vorbei an den Tribünen, auf denen die Menschen selig im Glück ihres reichen Vereins rote Fahnen schwenkten. Und Umarmungen, jeder mit jedem. Und T-Shirts und Mützen, auf denen „Deutscher Meister 99“ stand. Und Weißbier, mit dem der verletzte Giovane Elber überaus launig Manager Uli Hoeneß begoß, worauf der gönnerhaft erklärte: „Giovane darf heute alles.“ Und Auftritte, martialische, rührende, wie man's nimmt: Stefan Effenberg, Bayerns Mittelfeldlenker, erklomm die Ehrentribüne mit festem Stolz im Blick, reckte die Jubelfaust dem Sohne entgegen, herzte ihn, herzte seine Frau, packte den Sohn und führte ihn ab, die Treppe hinunter in den Innenraum. Warum auch immer. Und Worte der innigen Zufriedenheit. Zum Beispiel: „Schon geil“ (Carsten Jancker, grinsend). Oder: „Was wir bisher geleistet haben, war Wahnsinn“ (Elber). Und Trainer Ottmar Hitzfeld sagte mit der freudigen Erregung eines Schweizer Finanzbeamten beim Sortieren der Post: „Ich bin restlos glücklich.“ Jawohl. „Mir sind auch heute fast ein paar Tränen gekommen.“ Fast.

Jedenfalls ist es vollbracht, drei Spieltage vor Saisonschluß. Meister 1999: FC Bayern. Na ja. Was soll man sagen. Hurra vielleicht. Oder: Glückwunsch, Anerkennung, Respekt. Die beste Mannschaft hat gewonnen, so gehört es sich. Noch mal: Hurra. Sonst noch was? Nichts mehr. Vor Begeisterung ins Beben zu geraten wegen dieses Erfolges, fällt leider ein bißchen schwer. Zu kühl war er geplant, zu kompromißlos avisiert, zu kostenintensiv verfolgt. Mit einem Luxuskader ist dieser FC Bayern doch in die Saison gegangen, an dessen Setzliste schon vorher abzulesen war, an wen die besten Karten im Spiel um den ersten Preis im deutschen Wettfußballern verteilt sein würden.

Die einzige Chance für die nationale Konkurrenz blieb das ewig junge Risiko beim FC Bayern, daß die geballte Prominenz im Streit um Kompetenzen den Blick auf den Ball verliert. Aber dafür war ja plötzlich dieser Herr Hitzfeld da. Kein hibbeliger Otto Rehhagel mehr, der hinter jeder Journalistenfrage ein Attentat vermutete, kein Catenaccio-Freund Giovanni Trapattoni, der sich mit seinem Italodeutsch nie so richtig verständlich machen konnte. Sondern Herr Hitzfeld, kluger Coach, Vertreter neuer Nüchternheit beim FCB, charmant und streng und hochgeachtet von Anfang an. Rotationsprinzip nannte er bedeutungsvoll die Maxime, nach der er in seinem ausgeglichenen Mammutensemble die besten Plätze immer wieder umverteilte. Dahinter stand nichts weiter als die ziemlich naheliegende Idee, einzelnen Könnern immer wieder Pausen zu gönnen, damit sie sich nicht verschlissen, und die zu verfolgen sich kein anderer Coach dieser Republik hätte leisten können, weil keiner vom Verein eine solche Fülle von Spitzenkräften hingestellt bekommt.

Aber Rotationsprinzip, das war ein Fremdwort – das klang so intelligent, hob die ganze Fußballdiskussion auf so ein wunderbar hohes Niveau. Bei der Presse hatte Hitzfeld damit sofort gewonnen, fortan galt er als feingeistiger Stratege, und Bewunderung schlug ihm entgegen. Ein Meisterwerk des Etikettenschwindels – Hitzfeld machte damit Eindruck. Denn eigentlich hatte er ja nur eines zu leisten: diese ganzen Stars mit strenger Hand zu führen, damit sie sich ins strenge Reglement der Leistungsgesellschaft einordneten. Meisterhaft, wie ihm das gelungen ist. Kaum ein Mucks hochdotierter Bankdrücker, kaum Scharmützel. Hitzfeld schaffte es sogar, Kapitän Thomas Helmer auszuboten, ohne Aufruhr zu entfachen. Wie? Natürliche Autorität, Talent. Der weise Effenberg lehrt: „Es gibt halt so Trainer, die einfach gut sind.“

So ist es ganz zwangsläufig gekommen, daß der FC Bayern zum 15. Mal Meister geworden ist, und deshalb macht es auch nicht soviel Spaß, die große, früh geplante Fete mitzubestreiten. Zumal das wichtigste Ziel noch folgt. National kann dem FC Bayern ohnehin niemand etwas vormachen – zu allem Überfluß gewinnt er wahrscheinlich auch noch den DFB-Pokal gegen Werder Bremen. Nach internationalen Ehren strebt der Verein. Am 26. Mai in Barcelona hat der Meister seinen wichtigsten Termin, das Champions-League-Endspiel gegen Manchester United. Und so hat man die frühe Entscheidung in der Meisterschaft vor allem als große Erleichterung bei der Vorbereitung auf den Euro-Gipfel gesehen. „Man braucht jetzt auf die Meisterschaft keine Rücksicht mehr zu nehmen“, sagt Hoeneß. Und Hitzfeld hat die nächsten zwei Spieltage schon als „Qualifikation für das Finale“ ausgerufen. Trotz Musik und Bier und Ehrenrunden – es gibt schon noch einiges zu tun. Bis die ganz große Freude kommt.

Bayern München: Kahn (54. Scheuer) - Matthäus (46. Fink) - Linke, Kuffour - Salihamidzic, Jeremies, Effenberg, Tarnat - Basler, Jancker (46. Daei), Zickler Hertha BSC Berlin: Kiraly - Rekdal - Schmidt, Herzog (64. Covic/80. Aracic), Sverisson - Sanneh, Veit, Wosz, Neuendorf, Hartmann - Preetz Zuschauer: 63.000; Tore: 1:0 Jancker (12.), 1:1 Schmidt (73.)