■ Standbild: Muttertagsdebatte mit Äffin
„Muttertier, Muttermensch“, So., 22.35 Uhr, Arte
Darüber, ob der kopfwakkelnde Affe „Lucy“ auf dem Bildschirm im Hintergrund als Vertreter der „ersten Menschen“ und Sprachrohr der Autorin Helke Sander unbedingt der Knaller war, hätte man streiten können. Die meisten der befragten Frauen, darunter Zeichnerin Marie Marcks, Buchautorin Sophie von Behr und die französische Philosophin Elisabeth Badinter schienen den Gimmick mit dem Affen eher höflich zu dulden.
Nichtsdestotrotz gaben sie auf die Stichworte aus dem Monitor zu Mutterschaft und Mutterrollen bereitwillig Auskunft. Ihre gescheiten Entgegnungen wurden von weiteren Frauen, darunter Bewohnerinnen eines Wohnprojekts für Frauen und Mütter in Hamburg, auf Video verfolgt und abermals gescheit kommentiert. Und Sander kurbelte eine intertextuelle Muttertagsdebatte an, wie sie sicherlich nirgends im Buche steht.
Die vieldimensionale Struktur des Essays mochte bisweilen etwas gezwungen wirken. Dennoch spiegelte der Film formal ein Wunschbild mütterlichen Gedankenaustauschs wieder, der in unserer Kultur seit Urzeiten abgewürgt wird: Sanders Collage zeigte generationenübergreifende Erfahrungen unterschiedlicher, wenngleich gebildet-eloquenter Mittelschichtsmütter, die sich offensichtlich nicht erst seit gestern mit der Demontage bisheriger Mutterschaftsbilder befassen. Und während im Anfang der Affenmund verkündete, daß es unter unseren stark behaarten Vorfahren die Mütter gewesen seien, die erstmals Instinkte in soziale Interaktion und Sprache verwandelten ( „ein Quotenkiller“, so Frau Marcks lapidar ), zeigte sich in den Aussagen der Befragten vor allem ihr paradoxes Verhältnis zu jener Kultur, deren Schöpferinnen sie einst waren – auch wenn Sanders moderne Mütter nur zu dem Bruchteil evolutionsgeschichtlich fortgeschrittener Frauen zählen, die sich per Gnade der zufälligen Geburt im luxuriösen, feingesponnenen Kontext westlicher Industrienationen bewegen.
Frauen, die offenkundig schon Lichtjahre entfernt sind von der primitiven, wurzelsuchenden Spezies, die zum Muttitag von ihrer patriarchalen Kleinfamilie routinemäßig mit Sträußen bedrängt und feierlich vom Abwasch entbunden wird.
Monie Schmalz
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