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Wunschdenken oder logisch? –betr.: „Die Ostdeutschen und der Krieg“, taz vom 6. 5. 99

Die Thesen von Pfeiffer über die Disziplinierung der Kindheit und Jugend in der DDR sind mir auch suspekt. Trotzdem ist mir der von Engler formulierte Satz: „ Was ist der Schlag gegen einen Ausländer, verglichen mit der Genugtuung, die es bereitet, ein wehrloses Land tagtäglich und ohne großes Risiko zu bombardieren?“, den er zur Rechtfertigung gebraucht, ganz sauer aufgestoßen.

Über den Krieg im Kosovo kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber was die Angriffslust vieler Ostdeutscher hemmt, das kann man in der gleichen Ausgabe der taz auf Seite 6 (“Was geht uns das an?“) lesen. Darin unterscheiden sie sich nicht von vielen Westdeutschen. Herr Perschutta sagt: „... Sollen die sich doch da unten die Köppe einschlagen. Was geht uns das an?... Sie müssen nur mal ins Tierreich gucken: Die Kranken und Schwachen haben da keine Chance, kommen weg. Das ist halt so ...“

Daß die Mehrheit der Ostdeutschen so denkt, wie Engler es in seinen drei Gründen aufführt, halte ich für Englers Wunschdenken. Daß man stärker von den Konsequenzen des Zweiten Weltkriegs betroffen war als im Westen, ist natürlich richtig. Dabei hat es Nazis ja nur im Westen gegeben. Im Osten lebte seit der Befreiung durch die Rote Armee ein anderes Volk, ein Volk, das für die Vergangenheit materiell mehr büßen mußte, aber reinen Gewissens in die Zukunft schauen durfte/sollte. Die Erfahrungen von Degradierung und Ausschluß, von praktischer und geistiger Mißachtung machen nicht nur Ostdeutsche im deutschen Einheitsstaat. Für Mitbürger ohne deutschen Paß sind solche Erfahrungen oft das tägliche Brot, im Westen begegnet man dem mit Gleichgültigkeit, im Osten auch mit Beifall. Rudi Eckhardt, Kassel

Der Beitrag von Herrn Engler hat eine gewisse Logik. Als weiteres wichtiges Argument wäre vielleicht noch folgendes aufzuführen:

In der DDR lief eine (fast) perfekte Propaganda, um die Menschen von der Überlegenheit und der Fortschrittlichkeit des Systems zu überzeugen. Wir haben dadurch auch mehr oder weniger lernen müssen, Wahrheiten über alternative Quellen zu erfahren oder eben zwischen den Zeilen zu lesen. Jede Art von „Einheitsmeinung“ stößt bei mir und vielen anderen immer noch auf große Skepsis. [...] Wenn jetzt alle schreiben, dieser Krieg sei „gerecht“, „ehrlich“, „sauber“ und so weiter, und wenn alle, die abweichende Meinungen vertreten, als „Dummköpfe“, „Helfershelfer des Was-auch-immer“ bezeichnet werden, dann kann etwas nicht stimmen. Zumal die Propaganda der Nato mit Pannen nur so gespickt scheint. Jeder weiß, daß es noch nie „saubere“ Kriege gab. Nur unsere Chefs wollen uns jetzt erzählen, daß sie den „Krieg light“ erfunden hätten. Alleine diese Zweifel reichen bei mir schon aus, um eine negative Einstellung zum Krieg zu erhalten. [...] Stefan Behrendt, Kioto, Japan

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die auf dieser Seite erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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