Tadellose Königin

Die Souldiva Lauryn Hill ist so vollkommen, das es manche schon nervt  ■ Von Sebastian Hammelehle

Pflegten die meisten Berichte über die Soulköniginnen der sechziger und siebziger Jahre geprägt zu sein von einem onkelhaften Mitleid, durch das jeder der Königin zustehende Superlativ entwertet wurde (... dann heiratete das 24jährige Ausnahmetalent im Gefühlsüberschwang einen heroinsüchtigen Autoschieber, der sie natürlich ausnutzte...), so sind die Berichte über die Soulköniginnen der Neunziger meist geprägt von einer akademischen Korrektheit, durch die jeder der Königin zustehende Superlativ entwertet wird (... mit seinen Striptease-Auftritten zeigt das 24jährige Ausnahmentalent, daß es nicht nur den Feminismus neu definiert hat, sondern auch die Rolle der Schwarzen in den Medien, und daß sie das Spiel mit den signifikanten Zeichen beherrscht wie kaum eine andere...) Deshalb soll in diesem Bericht über Lauryn Hill die größtmögliche Schlichtheit und Untertreibung walten.

Denn dieses 24jährige Ausnahmetalent ist nicht nur die frisch gekrönte Soulkönigin von heute, sondern auch auf dem Weg, die Pop-diva des nächsten Jahrzehnts zu werden. Vollzogen wurde die Krönung bei der Verleihung des amerikanischen Musik-Oscars Grammy, bei der Lauryn Hill für zehn Preise nominiert war, zwei für ihre Arbeit mit Aretha Franklin, einer ihrer Vorgängerinnen auf dem Thron der Soulkönigin, acht davon für ihr erstes Soloalbum The Mis-education Of Lauryn Hill. Fünf Grammys erhielt sie dann auch. Zurecht. Ihre Musik ist wunderbar: In den vierzehn Stücken der Platte mischt Lauryn Hill den Soul der Siebziger mit HipHop und mit Ohrwurmmelodien für das Popradio.

Sie kann nicht rappen oder singen, sondern rappen und singen. Ihre Texte sind ernsthaft und moralisch, manchmal so moralisch, daß sie das wichtigste amerikanische HipHop-Magazin The Source aufforderte, ein wenig subtiler zu werden. Dazu sieht Lauryn Hill blendend aus, doch sie setzt ihren Körper bewußt zurückhaltend in Szene: ihre Kleidung ist geschmackvoll, nicht auffallend, auf Fotos und in ihren Videos gibt sie sich freundlich und natürlich, verführerisch aber nicht lasziv. Dazu engagiert sich Lauryn Hill für Wohltätigkeitsorganisationen, sie bereiste die Stätten des Völkermords in Ruanda, und wendet sich gegen die Kriege der USA in Übersee.

Trotz ihres Ruhms wohnt Lauryn Hill im Haus ihrer Eltern in South Orange, New Jersey, einem idyllischen Mittelklasse-Wohngebiet. Ihr Vater, ein Computerprogrammierer, begleitet sie auf allen Promotionreisen und nimmt die Interviews mit seiner Videokamera auf. Lauryn Hill hat zwei kleine Kinder, der Vater beider ist der Footballspieler Rohan Marley, Sohn des Reggaekaisers Bob Marley.

Was fehlt noch? Auch kommerziell ist Lauryn Hill ungeheuer erfolgreich: The Score, das zweite Album des HipHop-Trios The Fugees, mit dem sie bekannt wurde, haben sich weltweit 15 Millionen Menschen gekauft, ihre Soloplatte auch schon sieben Millionen. Trotz dieses Soloerfolgs und verschiedener Auseinandersetzungen mit Wyclef Jean und Pras Michael, den anderen beiden Mitgliedern der Fugees, betont Lauryn Hill des öfteren, daß sie die beiden auf eine gewisse Art liebe und daß die Fugees auch wieder gemeinsam Platten aufnehmen werden.

Lauryn Hill ist der Stolz der gebildeten afro-amerikanischen Mittelklasse, weil sie perfekt ist. In späteren Aufsätzen über den Umgang mit Soulköniginnen im Jahr 1999 wird deshalb stehen: Die Vollkommenheit Lauryn Hills, die Lauryn Hill schon in jungen Jahren erreicht hatte, erlaubte den Autoren der Berichte über sie, ihr allein durch Aufzählung all ihrer Eigenschaften gerecht zu werden.

Mo, 17. Mai, 19 Uhr, Stadtpark