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Die Kunst, Bilder zu versilbern

Dosenfutter essen und malen, das ist seine Welt, in der die Kunst das einzig Beständige ist. Ein Porträt des Berliner Künstlers Clemens Wedel  ■   Von Kirsten Niemann

Nicht einmal mehr eine Briefmarke fände Platz an den Wänden in Clemens Wedels Weddinger Hinterhofwohnung. Wedel ist Maler aus Leidenschaft und äußerst produktiv. Die meisten Bilder hängt er zum Trocknen sofort an die Wand. Die aktuellen nach oben, die älteren rutschen nach unten. Kleinere Bilder, Schnipsel und Zeichnungen stapeln sich in einem großen Grabbelkorb, der in einer Zimmerecke einfach so auf dem Fußboden herumsteht. Ob groß oder klein, ob vom Quer- oder Längsformat, vom Leinwand-, Holz- oder Blechuntergrund – von überall glotzen dem Betrachter kleine Männchen entgegen. Aus riesigen, wilden Augen. Minimalistische Gestalten in schrillen Farben. Dem Betrachter mögen da die Bilder von Edvard Munch in den Sinn kommen, von Paul Klee, Jean Miró oder auch die bunten, comicartigen Fratzen von Jim Avignon.

„Ich kann dir fünfzig Leute nennen, an die ich erinnere“, meint der 33jährige Autodidakt, „und ich habe auch gar nicht den Anspruch, etwas Neues zu schaffen.“ Vielleicht sind seine Bilder gerade deshalb so beliebt. Oder einfach, weil es dem meist jungen Publikum Spaß macht, für ein paar Mark ein Original-Kunstwerk zu erstehen. Die Verkaufsstrategie ab Atelier hat eine engagierte Freundin organisiert; denn Wedel ist pleite, braucht dringend Bares. Um selber auf die Idee zu kommen, so die Bilder zu versilbern, wäre der Künstler ohnehin zu schüchtern. Er ist gewiß kein Rebell. Doch gehört er zu dem Typ Mensch, der es in keinem Beruf lange aushält. Eine Ausbildung hat er nicht, sogar beim Bund hat man ihn vorzeitig entlassen. „Ich habe eine Leistungs-Funktions-Störung“, bekennt Wedel. Dosenfutter essen und malen – das ist seine Welt, in der seit 17 Jahren die Kunst das einzig Beständige ist.

Dennoch läßt er nicht gerade den Künstler raushängen. Wenn sich die Leute staunend durch seine Atelierwohnung drängeln, hält er sich lieber zurück. Meist steht er irgendwo in einer Ecke und signiert die gerade verkauften Bilder. „Die Leute mögen es lieber, wenn die Bilder signiert sind.“ In Scharen schieben sie sich durch seine 80-Quadratmeter-Bude. Mit Beck's und Zigarette in der einen und dem Portemonnaie in der anderen Hand. Ab einer Mark sind einzelne Bilder bereits zu haben, das Gros kostet zwischen zwanzig und hundert Mark. Beim letzten Mal war der Andrang so groß, daß der Verkauf in drei Schichten bewältigt werden mußte. „Das ist wie Eier direkt vom Bauern zu kaufen,“ sagt Clemens Wedel. „Die Leute sehen die Pinsel direkt neben meiner Zahnbürste liegen und bekommen auf die Art einen Bezug zu den Bildern.“

Mit Grauen erinnert er sich dagegen an seinen ersten und bislang einzigen Kontakt zum Berliner Kunstmarkt. „Total abgezockt“ fühlte er sich von dem Galeristen, der aus Wedels blaublütiger Herkunft Profit schlagen wollte. „Clemens Graf von Wedel wird persönlich anwesend sein“ – hieß es auf den Einladungskarten zu seiner Ausstellung. Nicht die kunstinteressierten Käufer kamen, sondern Bild und diverse Damengazetten. Seitdem entstehen seine Bilder jenseits der Berliner Galeristenszene und der Künstlerszene vom Prenzlauer Berg. „Ich gehe sowieso nicht gerne in Ausstellungen. Ich rauche und trinke lieber Bier, als daß ich mich am Glas Sekt festhalte.“ Und sein Inspirationsquell ist nicht etwa das neue, aufstrebende Berlin, wie man es in Mitte und anderen In-Bezirken trifft, sondern seine Nachbarschaft.

Bevor er vor dreizehn Jahren nach Berlin kam, wohnte er eine Zeit lang in einer Pension im Schwarzwald und malte Landschaften. Und dann kam der Wedding. Ein Kulturschock. „Hier sehen ja alle aus wie Monster“, dachte er. Menschen, die vor sich hinbrabbeln, während keiner zuhört. Der Wedding, wahrscheinlich der Bezirk mit der höchsten Alkoholiker-, Apotheker- und Orthopädenquote der Stadt. Wo täglich kranke, alte Frauen vom Notarztwagen abgeholt werden. Das sind die Leute, die ihren Weg in Clemens Wedels Bilder finden. Doch sind seine Bilder niemals drastisch, aggressiv oder deprimierend. Höchstens irgendwie anrührend, eben genau wie die Menschen in seiner Nachbarschaft. Irgendwie wird es schon weitergehen, sagen sie sich. Ein Gefühl, das der Künstler gut kennt.

Die nächste Atelierbegehung mit Verkauf am Mittwoch, den 12. Mai. Ab 19 Uhr. Müllerstraße 126a. Quergebäude, 1. Stock

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