: Keine Hilfe für Deserteure
In der Europäischen Union werden Kriegsdienstverweigerung und Desertion nicht als Asylgrund anerkannt ■ Von Jutta Wagemann
Obwohl Deserteuren der jugoslawischen Armee in ihrem Heimatland die Todesstrafe droht, will die deutsche Bundesregierung sie nicht generell als politisch verfolgt anerkennen und ihnen auch kein Asyl gewähren. Die Möglichkeit, den Kriegsdienst zu verweigern, existiert in Jugoslawien faktisch nicht mehr. Amnesty international und das Europäische Büro für Kriegsdienstverweigerer (EBCO) fordern daher von der Bundesregierung eine politische Initiative, um Asyl für jugoslawische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer in der gesamten Europäischen Union durchzusetzen.
In der jugoslawischen Verfassung ist zwar das Recht auf Kriegsdienstverweigerung festgeschrieben. „Doch wer mit Sicherheit eingezogen werden oder im Gefängnis landen will, braucht nur den Antrag auf Verweigerung zu stellen“, berichtete EBCO-Generalsekretär Gerd Greune der taz. Das Büro für Kriegsdienstverweigerer hat Betroffene befragt, die diese Praxis bestätigten. Die jugoslawische Armee fahnde nach den jungen Männern, die einen Einberufungsbescheid bekommen hätten und gleich darauf untergetaucht seien. „Viele werden direkt von der Straße geholt“, erzählte Greune, „und kommen dann ins Gefängnis.“
Im Krieg könne Deserteure zum Tode verurteilt werden
Schon zu Friedenszeiten habe das Militär nach Gutdünken mit den Anträgen auf Verweigerung umgehen können, weil die jugoslawische Verfassung keine Ausführungsbestimmungen zu dem Gesetz enthalte. Rechtssicherheit gebe es für Verweigerer nicht, erläuterte Greune.
Wie Deserteure seit Beginn des Krieges in Jugoslawien bestraft werden, ist nach Auskunft des EBCO unklar. Es sei ein Kriegsgericht eingerichtet worden, und Prozesse habe es auch schon gegeben, sagte Greune. Allerdings wurden noch keine Urteile gefällt. Das Gesetz sehe jedoch vor, daß Desertion im Krieg mit der Todesstrafe geahndet werden könne. Über die Anzahl der Kriegsdienstverweigerer und Deserteure gibt es derzeit keine gesicherten Angaben. Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) nannte zuletzt die Zahl 40.000. Nach Ermittlungen des EBCO sind es insgesamt 200.000. Allein in Ungarn sollen sich 50.000 gemeldet haben.
Der Europaabgeordnete Christof Tannert (SPD) hat alle EU-Staaten aufgefordert, serbischen Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern Asyl zu gewähren. Schon 1993 hatte das Europäische Parlament eine Entschließung verabschiedet, die zur Unterstützung von Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern aus dem ehemaligen Jugoslawien aufrief. Sie wurde jedoch von den Mitgliedsstaaten nicht umgesetzt. Tannert hofft jetzt auf den Amsterdamer Vertrag. Danach müssen Entscheidungen über Asylrecht EU-weit gefällt werden, das Europaparlament entscheidet in jedem Falle mit. Diese Regelungen sind dann für alle Mitgliedsstaaten verbindlich.
Die Bundesregierung zeigt keinerlei Initiative für eine Änderung des Asylrechts. Sie befindet sich allerdings auch auf der sicheren Seite, denn seit Beginn des Kosovo-Krieges liegen beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge alle Jugoslawien-Fälle auf Eis. Asylanträge von Deserteuren werden also nicht entschieden.
Zur Zeit liegen Asylanträge von Deserteuren auf Eis
Das bundesdeutsche Recht handhabt solche Fälle im Prinzip aber sehr streng. Nur wenn Deserteure oder Kriegsdienstverweigerer verläßlich nachweisen können, daß ihre Bestrafung politischen Charakter hätte, kann das im Einzelfall als Asylgrund ausreichen, teilte das Bundesinnenministerium mit. Die Betroffenen müßten also im Herkunftsland als Verräter betrachtet oder zu besonders gefährlichen Einsätzen kommandiert worden sein. Auch eine übermäßig harte Strafe, vor allem die Todesstrafe, gilt nach dem Asylgesetz als politische Verfolgung. Die Einberufung zum Wehrdienst und die Bestrafung wegen Desertion stellen jedoch auch in Kriegszeiten für sich allein genommen noch keine politische Verfolgung dar.
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