Deutschland und der Krieg, Teil VI: „Määdschen über vierzisch“: „Ich träume wieder vom Krieg“
■ Frauen der katholischen Gemeinde Köln-Neubrück geißeln die Luftangriffe. Viele kennen Bombennächte aus eigener Erfahrung
„Die Volksseele kocht“, hatte Margreth Reetz schon am Telefon gesagt, als ich mich für einen Nachmittag bei ihren „Määdschen über vierzisch“ angemeldet hatte, um über den Krieg im Kosovo zu sprechen. Jetzt sitzen die neun Frauen im Alter zwischen fünfundfünfzig und fünfundsiebzig in einem kleinen Raum im Jugendzentrum der katholischen Gemeinde von Köln-Neubrück bei Kaffee und Keksen und sprechen wild durcheinander.
Eigentlich hatte ja ein Gedichtnachmittag auf dem Programm der christlichen Damengruppe gestanden. Aber da der Krieg ohnehin bei den meisten Gesprächsthema Nummer eins ist, hat man die Anregung zu dem aktuellen Thema gern aufgenommen.
Die Frauen von Neubrück stehen wie jeder moralisch empfindende Mensch vor einem Dilemma: gegen Vertreibung und Massenmord auf der einen, aber ebenso entschieden gegen Bombenangriffe und Luftschläge auf der anderen Seite zu sein. Fast alle hier haben das eine oder das andere – Bombenangriffe und Vertreibung, manche beides – am eigenen Leibe erfahren. Das macht das entschiedene Optieren für das Geschehenlassen der einen oder der anderen Möglichkeit fast unmöglich.
„Bombenangriffe sind die Hölle“, sagt Thea Imhäuser, die jeden Bombenangriff auf Köln miterlebt hat. „Man hat nur noch den einen Gedanken: zu überleben. Die Menschen in Belgrad sind jetzt schon traumatisiert, da bin ich ganz sicher.“
Erst vor acht oder zehn Jahren haben ihre Alpträume von den Bombenangriffen aufgehört. Jetzt, seit dem Beginn der Nato-Luftangriffe, haben die Träume wieder angefangen. „Es ist ganz furchtbar.“
Und auch an die eigene Vertreibung fühlen sich hier viele erinnert. Auch wenn alle der einhelligen Meinung sind, daß das damals nicht so schlimm gewesen sei wie das, was die Kosovo-Albaner heute zu erleiden haben, ziehen doch einige aus der eigenen Vergangenheit den Schluß, daß man dem militärisch begegnen muß. Daß man nicht zögern dürfe, wie die Amerikaner noch im Zweiten Weltkrieg gezögert hätten.
Einige sind auch durch die erklärte Strategie der Nato, ausschließlich militärische Ziele zu treffen, beruhigt und finden sich deshalb mit dem Krieg ab.
Nicht so Margreth Reetz. Sie, die zu den Deutschen gehörte, die die Amerikaner nach der Befreiung Buchenwalds zum Anblick des Grauens nötigten – was sie kaum verkraften konnte –, beobachtet heute mißtrauisch die Festtagsstimmung an der New Yorker Börse, wo man sich über fette Kriegsgewinne freue. „Es geht darum, die Waffenlager zu räumen. Das ist alles Politik.“ Und auf die Frage, ob sie die Ausweitung zu einem Weltkrieg fürchte, lacht sie nur und sagt: „Der Dritte Weltkrieg findet in Raten statt. Jetzt schon und überall in der Welt schaffen sich die Amerikaner Kriegsschauplätze, wie sie sie brauchen.“
Und auch der Kriegsberichterstattung im Fernsehen mißtraut sie: „Seit Beginn des Krieges erzählen die uns jeden Tag, daß die Raffinerie bei Novi Sad bombardiert würde. Ja, kriegen die die denn gar nich kaputt? Entweder es ist gelogen, oder die sind blöd.“
So viel Mißtrauen ist den anderen auch wieder unheimlich. Sybille Schur meint zweifelnd: „Ach, was kann man mit seinem Hausfrauenwissen schon Schlaues dazu sagen?“
Nur in einem Punkt sind sich fast alle Frauen hier einig: Der jugoslawische Präsident Slobodan Miloevic soll sterben. Die Frauen sprechen nicht vom Tyrannen-, sondern von Terroristenmord und fragen sich nur, wieso die Amerikaner das nicht schon lange durchgeführt hätten. „Ich bin ja friedliebend und gegen die Todesstrafe, aber diesen Menschen würde ich umbringen“, wird da geäußert.
Nur Martha Krakor merkt an: „Ach, das sagt mein Mann jeden Abend vor der Kiste auch. Ich sag' dann immer: Herbert, dann fahr' doch hin und mach et selbst!“ Volker Weidermann
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