Märkte und Knäste: Der Haschischmarkt im Fristaden   ■  Von Joachim Frisch

Der Reiseführer muß sich irren. Oder Christiania ist von Interpol aufgelöst worden. Jedenfalls treffe ich dort, wo seit 25 Jahren das einzige von Profitgier, Patriarchat und McDonald's befreite Gebiet der Welt sein soll, auf einen Recyclinghof. Nachdem ich eine Viertelstunde verunsichert zwischen Sperrmüll, Altglascontainern, Auto- und Fahrradwracks und öligen Pfützen herumirre, entdecke ich doch noch die Künder der besseren Welt, bunte Buden mit reichlich Reggae-Schnickschnack , die signalisiseren, daß man hier hanfhaltige Rauchwaren schätzt. Verkauft werden die Rauchwaren kaum einen Schillumwurf weiter, in der Pusherstreet, dem einzigen staatlich geförderten Haschischmarkt der Welt.

Förderer ist der Fristaden Christiania. Hier haben vor einem Viertel Jahrhundert junge Anarchos, Spontis, Kiffer und Outlaws ein verlassenes Fabrikgelände um eine Lagune besetzt und zum freien Staat erklärt, in dem nicht Menschen, sondern Anarchie und Liebe herrschen sollten. Verbote wurden deshalb verboten. Weil vor allem das Haschischrauchen beliebt, aber sonst überall verboten war, verstand man unter freiem Leben freies Kiffen, bis der Medizinmann kommt.

Das Verbotsverbot aber ist löchrig geworden, um des verbotsfreien Lebens willen wird unter anderem verboten: Gewalt, alle Drogen außer Haschisch, Autofahren, Plastikflaschen, sexistische Werbung und Fotografieren in der Pusherstreet. Verstöße gegen die Verbote durch Besucher aus nicht freien Staaten werden im Freistaat Christiania, kaum anders als im Freistaat Bayern, mit sofortiger Ausweisung geahndet.

So bleibt das Haschisch als Zeichen der Freiheit. In den Cafés und Kneipen wimmelt es von Kampfkiffern, es werden fette Joints gerollt und Schillums (Schillen? Schily?) gepafft, daß es wie in alten Fabrikzeiten qualmt und stinkt. Die Atmosphäre in den Kneipen erinnert an 70er-Jahre-Hippiefestivals im Odenwald mit Psychedelic-Rock von Guru Guru und Psychedelic-Drogen vom Dorfpusher. Dürre Langhaarige in ausgefransten Jeans und speckigen Lederjacken glotzen paralysiert aus roten Augen in das Nichts und nikken dabei im Takt der plumpen Rockmusik, daß die Spitzen ihrer öligen Matte immer wieder in die Biergläser eintauchen.

Ein Blick in die Gesichter um mich herum beweist, daß Dauerkiffen häßlich macht, selbst der dichte Dopedunst vermag die Falten, Furchen und Furunkel nicht zu kaschieren. Und denkfeindlich macht das Kiffen auch. Als ich am Tresen im Spiegel blättere, schimpft plötzlich der Wirt los wie ein portugiesischer Seemann, dem jemand Hagebuttentee in die Portweinflasche gefüllt hat. Lesen scheint hier als Affront gegen die kollektive Gemütslage zu gelten, allein das Gewaltverbot nimmt mir die Angst, bäuchlings im Schlamm vor der Kneipe zu landen. Ich fliehe in die Idylle am Ufer der Lagune, wo mir von bunten Bootshäusern im Taka-Tuka-Stil schwindlig wird. Idyllenüberdosis.

Möchte ich hier leben? frage ich mich. Nicht mehr und nicht weniger als in irgendeinem idyllischen Nest im Freistaat Bayern, der sich vom Freistaat Christiania nur darin unterscheidet, daß dort die bevorzugte Droge flüssig ist. Und billiger, antworte ich mir.