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„Das war ein Versehen“

■ Ausländerbehörde schiebt Bulgarin trotz laufendem Petitionsverfahren ab

Heute wird Nadjas Freund nach Bulgarien fliegen, um nach seiner Freundin zu suchen. Er hat Informationen, daß bulgarische Zuhälter ihr auf den Fersen sind: Die 21jährige hat in Hamburg bei der Polizei ausgesagt – und wurde wegen eines „Versehens“ am vorigen Mittwoch trotz eines laufenden Petitionsverfahrens abgeschoben.

Erfahren haben das Nadjas Anwältin Jeanette Goslar, die Mitglieder des Petitionsausschusses und sogar der zuständige Sachbearbeiter in der Ausländerbehörde erst vorgestern. Nadja war im Herbst 1998 mit falschem Paß nach Hamburg gekommen. Mit Drohungen gegen sie und ihr in Bulgarien lebendes fünfjähriges Kind hätten bulgarische Zuhälter sie gezwungen, als Prostituierte zu arbeiten, sagt ihre Anwältin. Mitte März ging Nadja zur Polizei. Diese stellte zunächst nur fest, daß die Bulgarin bereits 1996 einmal aus Deutschland abgeschoben worden war: Nadja kam in Untersuchungshaft.

Als sie schließlich mit Unterstützung von Amnesty for Women als Zeugin gegen ihren Zuhälter vernommen wurde, so die Anwältin, war unsicher, ob ihre Aussage für eine Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm ausreicht. Um eine Abschiebung zu verhindern, reichte Goslar eine Petition bei der Bürgerschaft ein. Am Montag entschied der Ausschuß, daß Nadja nicht vor einer Entscheidung zum Zeugenschutzprogramm abgeschoben werden solle. Doch zu diesem Zeitpunkt war die junge Frau schon seit fünf Tagen wieder in Bulgarien: Goslar erfuhr es am Dienstag auf Nachfrage aus dem Untersuchungsgefängnis.

„Das Ganze war ein Versehen“, beschwichtigt Norbert Smekal, Sprecher der Ausländerbehörde. Natürlich halte man sich nach wie vor an das Stillhalteabkommen mit dem Senat, bei laufender Petition nicht abzuschieben. Nach dem Schuldigen des Versehens werde noch ermittelt. Da aber nach Absprache mit der Polizei seit gestern klar sei, daß die Bulgarin nicht in das Schutzprogramm aufgenommen würde, „gibt es auch keinen Grund, die Frau zurückzuholen.“

Amnesty for Women ist entsetzt: „Wer diese Maßnahme eingeleitet hat, trägt mit die Verantwortung, falls der Frau etwas passiert.“

Heike Dierbach

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